Die Lilie im Tal (German Edition)
die Füße, die durch den Druck des Leders und die Hitze angeschwollen waren. Diese letzte Unannehmlichkeit verleidete mir das Fest. Es war unmöglich, herauszukommen. Ich flüchtete mich in eine Ecke, setzte mich auf die Kante einer verlassenen Bank, wo ich starren Blickes, bewegungslos und mürrisch verharrte. Durch meine schmächtige Gestalt irregeführt, hielt mich eine Dame für ein Kind, das dem Einschlafen nahe war, während es auf seine Mutter wartete; sie setzte sich zu mir mit der Gebärde eines Vogels, der sich schützend auf sein Nest niederläßt. Alsbald streifte mich ein weiblicher Duft, der mich berauschte, wie mich später die orientalische Poesie berauscht hat. Ich blickte meine Nachbarin an: sie blendete mich, mehr als das ganze Fest mich geblendet hatte. Sie wurde mein ganzes Fest. Wenn Sie mein bisheriges Leben richtig beurteilt haben, werden Sie erraten, welche Gefühle da in meinem Herzen aufstiegen. Meine Blicke wurden gebannt von ihren vollen weißen Schultern, auf denen ich mich hätte zusammenrollen mögen, ihren mattrosigen Schultern, die zu erröten schienen, als seien sie zum ersten Mal unverhüllt, ihren keuschen Schultern, Schultern, die eine Seele hatten und deren weiche Haut wie ein seidenes Gewebe im Lichte schimmerte. Längs der Senkung zwischen ihren Schultern glitt mein Blick, der kühner war als meine Hand. Ich reckte mich bebend, um ihre Büste zu sehen, und ward gebannt durch den Anblick eines keusch in Gaze gehüllten Busens, dessen bläulich geäderte, vollendet schöne Rundungen in einer Flut von Spitzen wohlig gebettet lagen. Die geringsten Einzelheiten ihres Kopfes lösten in mir unendliche Wonnen aus: der Glanz des Haares, das über einem samtweichen, mädchenhaften Halse lag, die weißen Linien, die der Kamm gezogen hatte und auf denen meine Phantasie wie auf lauschigen Pfaden lustwandelte, all das raubte mir die Sinne. Nachdem ich mich davon überzeugt hatte, daß mich niemand sah, vergrub ich mein Haupt zwischen ihren Schultern, wie ein Kind, das sich in den Schoß seiner Mutter flüchtet; ich drehte den Kopf hin und her und küßte ihre Schultern wieder und wieder. Sie stieß einen gellenden Schrei aus, den die Musik überdröhnte; sie wandte sich um, erblickte mich und rief: »Monsieur!...« Ach, wenn sie gesagt hätte: ›Mein lieber Junge, was fällt Ihnen denn ein!‹ – ich hätte sie vielleicht getötet; aber bei diesem ›Monsieur!‹ stürzten mir heiße Tränen aus den Augen. Ich war versteinert durch einen Blick, den heilige Entrüstung entfachte, durch ein überirdisches Haupt, das ein Diadem aschblonden Haares krönte und das sich so gut mit ihrem wollüstigen Rücken vertrug. Das Rot verletzten Schamgefühls färbte ihr Gesicht; aber da entwaffnete sie auch schon das Mitleid der Frau, die eine Leidenschaft immer versteht, wenn sie selbst sie erregt hat, und die aus Reuetränen grenzenlose Anbetung herausliest. Sie entfernte sich mit der Haltung einer Königin. Da erst fühlte ich, wie lächerlich meine Lage war. Ich sah ein, daß ich so komisch wie der Affe eines Savoyarden sei. Ich schämte mich und blieb ganz verstört sitzen, mit dem süßen Nachgeschmack des gestohlenen Apfels im Munde. Auf den Lippen fühlte ich die Wärme des Blutes, das ich geatmet hatte... Mein Blick folgte der Frau, die nur vom Himmel stammen konnte. Ergriffen von der ersten fleischlichen Offenbarung, die das fiebernde Verlangen meines Herzens bloßgelegt hatte, irrte ich durch die nunmehr verödeten Ballsäle, ohne meine Unbekannte wiederfinden zu können. Ich kehrte völlig umgewandelt nach Hause zurück.
Eine neue Seele, eine Seele mit farbenschillernden Flügeln hatte sich aus der Larve erhoben. Aus den blauen Fernen, wo ich ihn bewunderte, war mein lieber Stern heruntergefallen und hatte die Gestalt einer Frau angenommen, ohne seine Klarheit, sein Funkeln, seinen Glanz einzubüßen. Ich liebte plötzlich, ohne von der Liebe etwas zu wissen. Ist es nicht etwas Seltsames um den ersten Ausbruch des stärksten menschlichen Gefühls? Ich hatte im Salon meiner Tante einige hübsche Frauen gesehen. Keine hatte den geringsten Eindruck auf mich gemacht. Gibt es denn im Lebensalter, da Leidenschaftlichkeit das ganze Geschlechtsleben beherrscht, eine Stunde, eine besondere Konstellation von Gestirnen, ein einzigartiges Zusammentreffen von Umständen, eine Frau unter allen, etwas, das ganz allein bestimmt ist, eine ausschließliche Leidenschaft hervorzurufen? Wenn ich bedachte, daß
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