Die Lilith Verheißung: Thriller (German Edition)
ihre Vorhersagen vor großem Publikum. Bislang lehnte sie Öffentlichkeit oder Medien strikt ab. Aber seit wenigen Tagen erscheint sie auch im Fernsehen. Sie hat was von einer … na ja, sie ist …« Pochs bislang flüssiger Vortrag geriet ins Stocken. »Sie ist nicht unattraktiv, und auf eine seltsame Weise entspricht sie dem Idealbild der barocken Mutter Maria mit … also … eher erotischen Untertönen.«
Regina hob ihre Stimme und wollte etwas fragen, aber Jan kam ihr zuvor.
»Wo ist der Hauptsitz der Gruppe?«
Poch bat um etwas Geduld. »Ich muss das in meinem Artikel suchen. Warten Sie bitte. »Ja, hier. Nicht weit von hier, im Unterfränkischen. Rottershausen heißt der Ort. Seien Sie vorsichtig. Das Dorf ist fest in der Hand des Ordens. Nach und nach sind ihre Anhänger da hingezogen und stellen nun die Mehrheit dort. Sie gelten als recht rabiat bei der Durchsetzung ihrer Interessen …«
Regina verdrehte wieder die Augen. Im nächsten Moment fiel der Strom aus.
Bad Bentheim, ehemaliger Grenzübergang nach Holland, 17. 12., 19.44 Uhr
Still und zitternd saßen die vier Menschen im Unterholz. Ein Wildschweineber war schnaubend und grunzend wenige Zentimeter von ihnen entfernt durch den Schnee gepflügt. Die beiden vierjährigen Kinder waren auch wegen des Fiebers zu schwach, um zu erschrecken. Zudem hatte die Mutter ihnen den Mund zugehalten.
Krabbe hatte seine Töchter am Nachmittag aus der Klinik geholt. Er war unerkannt und unbemerkt an den Schleusenaufsichten vorbeigekommen. Draußen wartete schon seine Frau im Wagen. Auf dem Gelände eines verwaisten Gewerbegebietes nahe der Grenze hatten sie auf den Einbruch der Dunkelheit gewartet. Der Vater hatte ein GPS -Gerät dabei. Es war nur handtellergroß. Jetzt konnte er damit seine Position bestimmen. 200 Meter fehlten noch zur Rettung. Mit dem Wagen war es unmöglich, nach Holland einzureisen. Alle Straßen waren gesperrt worden. Bundeswehrsoldaten in schweren grünen Schutzanzügen patrouillierten mit angelegten Waffen. Seit der Ausrufung des Verteidigungsfalles war der Gebrauch der Schusswaffe auch für Soldaten in Deutschland erlaubt, und zum ersten Mal seit dem Mauerfall würden wieder deutsche Soldaten auf ihre Landsleute zielen.
Daran aber dachte der Familienvater nicht. Seine beiden Töchter waren von den Pocken befallen, und auch seine Frau zeigte erste Symptome an Brust und Armen. Im Krankenhaus war der Impfstoff ausgegangen, auch die Versorgung mit den wichtigsten Schmerzmitteln wurde stündlich mangelhafter.
Machte er gerade das Richtige? Dort drüben in Holland sollte alles noch vernünftig laufen, dort gab es deutlich weniger Erkrankte und auch noch genug Impfstoff. Das hatte man ihm zumindest unter der Hand auf der Dienststelle gesagt. Er wollte alles versuchen, um seine Familie zu retten. Seine Frau und er hatten eine jahrelange Odyssee durch Frauenarztpraxen hinter sich, ehe nach unzähligen und würdelosen Versuchen die Zwillingezur Welt kamen. Es versetzte dem Mann einen tiefen Stich ins Herz.
Die grüne Grenze zu Holland zieht sich von der Nordseeküste über 300 Kilometer nach Aachen. Noch waren die Wiesen und Wälder nicht völlig gesichert. Er wusste zu gut, wie schnell die Behörden eine komplette Abriegelung durchführen konnten. Gut 50 Meter waren es bis zu dem zugefrorenen Baggersee, dessen Westufer an die Grenze heranreichte. Die Strecke über den See dürfte knapp 100 Meter betragen. Bis auf das nun leiser werdende Geräusch des Wildschweins war nichts zu hören. Nur der Wind strich durch das Geäst der Buchen über ihnen. Schnee und eine solche Kälte waren hier im Nordwesten Deutschlands eine Seltenheit. Aber ein Nachbar hatte ihnen seine Skisachen geschenkt. Er brauchte sie nicht mehr. Seine Frau und sein einziges Kind waren am Vormittag qualvoll gestorben. Als Krabbe das Auto aus der Garage geholt hatte, konnte er den Nachbarn sehen, wie er einen Strick am Klettergerüst seines Sohnes befestigte.
Leise zählte er bis drei. Seine schlafende Tochter saß warm eingepackt in einem Gestell auf seinem Rücken. Seine Frau hielt dagegen den anderen Zwilling in den Armen. Gebückt liefen sie los. Gleich nach wenigen Metern fiel der Mann über einen im Schnee verborgenen Stamm nach vorne. Das Metall des Gestells schlug in seinen Nacken. Seine Frau blickte nach hinten, mit schmerzverzerrtem Gesicht bedeutete er ihr stumm, dass sie weiterlaufen sollte. So erreichte sie als Erste die Lichtung, rutschte hastig den Ufersaum hinab
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