Die linke Hand Gottes
KAPITEL
I n den folgenden Wochen lernte Cale die selbstzerstörerischen Freuden kennen, die aufkommen, wenn man einem Menschen, den man abgöttisch liebt und zugleich hasst, das Leben schwermacht. Um aufrichtig zu sein, aber das war er nicht, müsste man sagen, dass er diese Freuden mehr als leid war.
Er hatte sich nicht bewusst gemacht, was es für ihn bedeutete, die Rolle des Leibwächters zu spielen. Die Gefühle, die er für Arbell Schwanenhals hegte – heftiges Verlangen und ein tief sitzender Groll -, wären auch für jeden anderen schwer zu vereinen gewesen, geschweige denn für einen Jungen wie ihn, der aus einer eigentümlichen Mischung aus brutaler Härte und gänzlicher Unschuld bestand. Hätte Cale Charme besessen, vielleicht hätte Arbell nicht alle Stacheln ausgefahren, wenn er mit ihr sprach, doch woher sollte solch ein Junge Charme haben? Arbells körperlich spürbarer Abscheu vor ihm kränkte ihn verständlicherweise ungemein, doch fiel ihm nichts Besseres ein, als ihr nur noch feindseliger gegenüberzutreten.
Riba bereitete diese bedrückende Atmosphäre zwischen Cale und ihrer Herrin großen Kummer. Sie schätzte Arbell Schwanenhals, und so berühmt die Herrin auch sein mochte, Ribas Ehrgeiz ging dahin, ihr mehr zu sein als nur eine Kammerdienerin. Arbell war großzügig und nachdem sie die Intelligenz ihres Kammermädchens erkannt hatte, pflegte sie einen zwanglosen und offenen Umgang mit ihr. Aber Riba bewunderte Cale über alle Maßen. Er hatte sein Leben aufs Spiel gesetzt, um sie vor einem albtraumhaften Schicksal zu retten. Daher verstand sie nicht, wie Arbell ihm gegenüber so kalt sein konnte. Sie hatte sich in den Kopf gesetzt, ihre Herrin eines Besseren zu belehren.
Wie sie dabei vorging, wäre einem Beobachter komisch vorgekommen: Sie tat so, als sei sie gestolpert, und vergoss eine Tasse heißen Tee über Cale. Zwar hatte sie vorher etwas kaltes Wasser hinzugefügt, um ihren Retter nicht zu verbrühen, dennoch war der Tee heiß. Mit einem Schmerzensschrei riss sich Cale die dünne Tunika, mit der er bekleidet war, vom Leib.
»Oh, Verzeihung«, rief Riba und goss ihm einen Becher mit kaltem Wasser, den sie schon bereitgestellt hatte, mit großer Geste über die verbrühte Stelle. »Das tut mir wirklich sehr leid.«
»Was ist denn los mit dir«, sagte Cale gar nicht böse. »Erst willst du mich verbrühen und jetzt kriege ich eine kalte Dusche.«
»Oh«, machte Riba, »das wollte ich nicht.« Sie reichte ihm ein Handtuch und erging sich weiterhin in Entschuldigungen.
»Schon gut, ich lebe ja noch«, sagte Cale beschwichtigend und trocknete sich ab. Dann wandte er sich an Arbell: »Ich muss mich umziehen. Bitte bleibt in Euren Gemächern, bis ich wiederkomme.« Und damit verließ er sie. Riba wollte nun wissen, ob ihre List Erfolg hatte. Ihr subtiles Vorgehen hatte ungeahnte Folgen. Der Anblick von Cales Rücken, die Striemen und Narben, die fast jeden Quadratzoll bedeckten, erregte bei Arbell so großes Mitleid, wie sie es nie für möglich gehalten hätte.
»Hast du das absichtlich getan?«
»Ja«, gestand Riba.
»Warum?«
»Damit Ihr seht, was er alles durchgemacht hat. Und damit Ihr, verzeiht mir, nicht weiterhin so gefühllos zu ihm seid.«
»Was meinst du damit?«, fragte Arbell erstaunt.
»Darf ich ganz offen reden?«
»Nein, das darfst du nicht.«
»Ich tue es trotzdem, da ich nun schon so weit gegangen bin.«
Nach aristokratischen Maßstäben war Arbell keine aufgeblasene Materazzi-Diva, aber bisher hatte niemand mit Ausnahme ihres Vaters so mit ihr gesprochen – vor allem aber keine Bedienstete. Vor Erstaunen fehlten ihr die Worte.
»Ihr und ich, Mademoiselle«, sagte Riba, »wir mögen jetzt wenig gemeinsam haben, aber vor nicht allzu langer Zeit habe ich noch alles fraglos hingenommen und geglaubt, das Leben bestehe nur im Geben und Empfangen von Vergnügen. Damit war es plötzlich und für immer vorbei und ich musste erfahren, wie schrecklich und unglaublich grausam das Leben wirklich ist.«
Dann berichtete sie ihrer Herrin in allen Einzelheiten das Schicksal, das ihrer Freundin beschieden war und das auch sie ereilt hätte, wenn Cale unter Gefahr seines Lebens sie nicht gerettet hätte.
»Auf dem Weg durch die Scablands hat er mir versichert, dass es verrückt und dumm gewesen sei, mich zu retten.«
»Und glaubst du ihm?«, fragte Arbell sie entsetzt.
»Ich weiß es nicht. Manchmal scheint er es wirklich so zu meinen, manchmal nicht. Ich habe seinen
Weitere Kostenlose Bücher