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Die linke Hand Gottes

Die linke Hand Gottes

Titel: Die linke Hand Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Hoffman
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mit Krüppeln und Behinderten nicht gewohnt war – in der Ordensburg lebten sie nicht lange -, brauchte er eine Weile, bis er begriff, dass der Junge stumm war. Er streckte ihm die Hand entgegen. Zögernd ergriff sie der Junge, und Cale half ihm wieder auf die Beine. »Komm mit«, sagte er. Der Junge sah ihn verständnislos an, er war nicht nur stumm, sondern auch taub. Cale gab ihm durch Zeichen zu verstehen, ihm zu folgen, was der Junge, immer noch vor Schmerz und Demütigung winselnd, schließlich auch tat.
    Zehn Minuten später – Cale säuberte gerade den Jungen in der provisorischen Wachstube, die er in Arbell Materazzis Palastflügel eingerichtet hatte – stürzte Arbell, begleitet von Riba, ins Zimmer. Beim Anblick des Jungen, der blutend vor Cale saß, empörte sie sich sofort: »Was habt Ihr ihm angetan?«
    »Was wollt Ihr eigentlich?«, fauchte er zurück. »Eine Bande verzogener Materazzi-Bengel hat ihn so zugerichtet. Ich bin hinzugekommen und habe sie vertrieben.«
    Sie sah ihn voller Reue an, hatte sie doch das Gute der letzten Tage wieder zunichtegemacht.
    »O Verzeihung«, sagte sie mit so viel Bedauern in der Stimme, dass Cale tiefe Genugtuung empfand. Zum ersten Mal war er ihr gegenüber im Vorteil. Er schnaubte aber nur verächtlich. »Es tut mir wirklich leid«, versicherte sie, dann trat sie ganz bekümmert zu dem Jungen und küsste ihn. Cale hatte sie vorher noch nie so besorgt um einen Menschen gesehen. Er sah erstaunt, wie sich der Junge augenblicklich beruhigte, als Arbell Schwanenhals ihm übers Haar strich.
    »Das ist mein Bruder Simon«, sagte sie zu Cale gewandt. »Viele nennen ihn nur Simon den Simpel, wenn auch nicht in meiner Gegenwart. Er ist taubstumm. Was ist denn passiert?«
    »Er war auf dem Übungsplatz. Eine Bande von Jungen hat ihn mit Steinen beworfen.«
    »Diese Ungeheuer«, sagte sie und schaute ihren Bruder mitleidsvoll an. »Sie glauben, sie könnten sich alles erlauben, weil er nicht berichten kann, was sie ihm angetan haben.«
    »Hat er denn keinen Leibwächter?«
    »Schon, aber er will für sich allein sein und büxt immer zum Übungsplatz aus. Er möchte wie die anderen Jungen sein. Die aber mögen ihn nicht, weil er so langsam ist. Sie sagen, er sei vom Teufel besessen.«
    Simons Stimmung hatte sich aufgehellt. Er zeigte auf Cale und stellte pantomimisch das Steinewerfen und seine Rettung dar.
    »Er möchte sich bei Euch bedanken.«
    »Woher wollt Ihr das wissen?«, fragte Cale etwas zu schroff.
    »Nun, eigentlich weiß ich es nicht so genau, aber auch wenn er beschränkt ist, hat er doch ein gutes Herz.« Sie nahm Simons Hand, öffnete sie und streckte sie Cale entgegen. Nachdem Simon einmal begriffen hatte, was von ihm verlangt war, konnte er vom Schütteln gar nicht genug bekommen, und Cale brauchte eine Weile, bis er die Hand wieder frei bekam. Die ganze Zeit über sickerte Blut durch den provisorischen Verband, den Cale Simon angelegt hatte. Er bedeutete dem Jungen, sich hinzusetzen, dann begann er, unter Arbells ängstlichen Blicken, den Verband zu öffnen. Zum Vorschein kam eine fast zwei Zoll lange böse Wunde.
    »Diese kleinen Teufel hätten ihn am Auge treffen können. Die Wunde muss genäht werden.«
    Arbell Schwanenhals sah ihn verwundert an. »Wie meint Ihr das?«
    »Es muss genäht werden, so wie man ein Hemd flickt.«
    Cale lachte über seine Worte. »Sicherlich habt Ihr so etwas noch nie gemacht.«
    »Ich hole einen Arzt.«
    Cale schnaubte nur höhnisch. »Der Materazzi- Doktor, der mich zuletzt behandelt hat, hätte mich um ein Haar umgebracht. Eurem Bruder bliebe im glimpflichsten Fall eine große Narbe, aber so eine ausgefranste Wunde heilt nicht so leicht. Es besteht die Gefahr, dass sie sich entzündet mit allen bösen Folgen. Mit drei, vier Stichen ist die Wunde wieder verschlossen und danach wird man kaum noch etwas sehen.«
    Arbell Schwanenhals sah ihn verständnislos an. »Ich möchte doch erst einen Arzt holen. Bitte versteht das.«
    Cale zuckte die Achseln. »Wie Ihr wollt.«
    Eine Stunde später waren zwei Ärzte, die in Eile herbeigeholt worden waren und die sich einen lautstarken Disput geleistet hatten, nicht in der Lage gewesen, die Blutung zu stillen, ja sie hatten alles nur noch schlimmer gemacht. Simon litt solche Schmerzen und war so verwirrt, dass er schließlich keinen Arzt mehr an sich heranließ. Die ganze Zeit über floss Blut aus der Kopfwunde.
    Cale war schon nach ein paar Minuten gegangen. Als er jetzt zurückkam, stand

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