Die linke Hand Gottes
verwehren. Die Ehrenwerte Edith Materazzi wusste, welche Leichen bei wem im Keller lagen, und über alles, was in Memphis hinter den Kulissen vorging, war sie stets auf dem Laufenden, sofern sie nicht selbst die Strippen zog. Obwohl sie offiziell keine Macht besaß – dafür hatte der Marschall gesorgt -, hatte die Ehrenwerte Edith Materazzi Einfluss, den sie ihrem Wissen über die besagten Leichen verdankte, die es in jeder Familie gab, mochte diese noch so stolz und mächtig dastehen. Keine halbe Stunde nach Mademoiselle Janes Wutanfall über Riba wusste Edith Materazzi durch ihre Spionin, Anna-Maria, über den Vorfall und veranlasste, dass dem Mädchen ein Zimmer in ihrem eigenen Palast gegeben wurde.
Als Vipond hörte, dass Riba hinausgeworfen worden war und sich nun in den Fängen der Ehrenwerten Edith Materazzi befand, bestellte er Mademoiselle Jane in sein Arbeitszimmer und hielt ihr eine Standpauke. Danach verließ sie eingeschüchtert und unter Tränen sein Zimmer, doch es blieb nun nichts anderes übrig, als abzuwarten, was die alte Hexe aushecken würde.
Die wiederum ließ die Zeit nicht müßig verstreichen. Sie wusste, dass etwas im Busch war und dass es dabei auch um ihre Tochter ging. Dass sie nach ihrem Besuch am See von Constanz spurlos verschwunden war, hatte Anlass zu wilden Spekulationen gegeben, von einer geheimen Heirat oder einer geheimen Geburt war geflüstert worden. Die Wahrheit war aber noch abenteuerlicher als alle Gerüchte. Die Ehrenwerte Edith Materazzi hatte viel Zeit und Geld aufgewendet, um der Sache auf den Grund zu gehen, allerdings mit wenig Erfolg. Und das war etwas, was sie nicht verwinden konnte.
»Hat man dich bequem untergebracht?«, fragte die Ehrenwerte Edith Materazzi und zeigte Riba mit einer Handbewegung, neben ihr auf dem Sofa Platz zu nehmen. Nervös und vorsichtig tat Riba wie geheißen. Sie kannte sich schon so weit in den feinen Kreisen von Memphis aus, um zu erkennen, dass hier etwas im Geheimen geschmiedet wurde. Man achtete hier gewöhnlich auf jeden noch so geringfügigen Rangunterschied, als ob Gott selbst die Welt so eingerichtet hätte. Außenstehende wurden lächerlich gemacht, ganz gleich wie hoch ihr Status in den Provinzen war. Riba hatte wiederholt eine Geschichte über die Gräfin von Karoo erzählen hören, wonach diese ihre Reise mit dem Erlös aus dem Verkauf ihrer Schweineställe bezahlt habe. Das war eine groteske Verleumdung, denn die Bürger von Karoo hielten Schweine für unrein. Warum behandelte eine Dame mit solchem Einfluss sie, ein geschasstes Kammermädchen, mit solch ausgesuchter Liebenswürdigkeit?
»Zuallererst, meine Gute«, begann die Ehrenwerte Edith Materazzi, »bedauere ich sehr, dass du von Jane so garstig behandelt worden bist. Was ich dazu sagen kann, soll keine Entschuldigung sein, aber ich war mit ihrer verstorbenen Mutter befreundet und weiß daher, nun, es gibt kein anderes Wort dafür, dass sie daheim verzogen worden ist. Das ist heutzutage nun einmal so, die Kinder bekommen alles, was sie wollen, und das Ergebnis sehen wir. Aber dagegen kann man nichts machen«, seufzte sie und tätschelte dabei Ribas Hand. »Ich bedauere das außerordentlich.«
Riba wusste nicht recht, was sie dazu sagen sollte. »Ja, Madam.«
»Gut«, sagte die Ehrenwerte Edith Materazzi. Sie schien zufrieden. »Nun möchte ich dich um einen großen Gefallen bitten.«
Riba traute ihren Ohren nicht.
»Ich habe nämlich auch eine Tochter«, fuhr sie traurig fort. »Und ich mache mir Sorgen um sie.« Sie sah Riba an. »Hast du sie schon gesehen?«
»Mademoiselle Arbell? Ja, Madam.«
»Ah«, seufzte die Ehrenwerte Edith Materazzi leise, als ob sie eine ferne Erinnerung an ihre Tochter habe. »Sie ist so schön, nicht wahr?«
»Ja, Madam.«
Die Ehrenwerte Edith Materazzi nahm nun Ribas Hand in ihre Hand und drückte sie.
»Ich möchte dich ins Vertrauen ziehen und dir auch helfen, denn ich fühle, dass du ein gutherziges Mädchen bist und die Sorgen einer Mutter verstehst. Stimmt das, Riba?«
»Ja, Madam, das hoffe ich«, erwiderte das Mädchen ganz verdattert.
»Ich denke schon, dass es so ist«, sagte die Ehrenwerte Edith Materazzi, als hätte sie in Ribas Seele geschaut und dort nur Herzensgüte und ein tiefes Verständnis für die Sorgen einer Mutter gefunden.
»Wir müssen nun über Dinge sprechen, die mir wehtun, aber Mutterpflicht kommt vor Eigenstolz, wie du, dessen bin ich mir sicher, eines Tages selbst erfahren wirst.« Wieder
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