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Die linke Hand Gottes

Die linke Hand Gottes

Titel: Die linke Hand Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Hoffman
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Gesicht die Schmerzen tapfer ertragen hatte. Cale wandte sich an seine Schwester, auch sie war weiß um die Nase.
    »Er ist aus hartem Holz geschnitzt«, sagte er anerkennend. »In Eurem Bruder steckt mehr, als die Leute denken.«
    Bei Arbell hatte Cales schneidiges Vorgehen die erhoffte Wirkung. Von Angesicht zu Angesicht mit diesem Ausnahmewesen empfand die schockierte, verblüffte und aufgewühlte Arbell Materazzi fast schon Liebe.

    Die Guelfen – ein für seine mangelnde Großzügigkeit bekanntes Volk – haben ein Sprichwort: Eine gute Tat begeht man nicht ungestraft. Cale musste schon bald die Wahrheit dieses trostlosen Sprichwortes erkennen. Zu seinem Unglück war er nicht dazu erzogen worden, das Verhalten böser Jungen zu korrigieren, sondern von ihm verlangte man, zu töten. Mäßigung in körperlicher Gewaltanwendung war ihm völlig unbekannt, und so kam es, dass der Tritt, den er einem von Simons Peinigern versetzt hatte, härter als beabsichtigt ausgefallen war und dem Jungen zwei Rippen gebrochen hatte. Der Zufall wollte es, dass der Vater des Jungen kein anderer als Solomon Solomon war. Dieser wollte sich schon an Cale dafür rächen, dass er sechs seiner besten Kampfkunstschüler verdroschen hatte. Bei der Nachricht von den gebrochenen Rippen seines Sohnes geriet er außer sich. Wie es bei brutalen Schlägern oft der Fall ist, war Solomon Solomon ein liebevoller, nachsichtiger Vater. Dennoch musste er seinem glühenden Zorn Zügel anlegen. Es war schlechterdings nicht möglich, Cale zum Duell herauszufordern, da der Grund dafür in einer Verletzung seines Sohnes lag, die dieser sich durch einen tätlichen Angriff auf den Sohn des Marschalls eingehandelt hatte. Mochte der Marschall es auch als Schande ansehen, einen Behinderten zum männlichen Erben zu haben, so wäre er doch über den Schaden an seiner Familienehre erbost gewesen und hätte Solomon Solomon, dessen unbestrittenen Kampfkünsten zum Trotz, in irgendeine Provinz des Mittleren Ostens geschickt, um dort die Beerdigungen in einer Aussätzigenkolonie zu überwachen. Zu einem schwelenden Groll gegen Cale kam jetzt also ein mörderischer Hass, der nur auf die passende Gelegenheit wartete. Die Gelegenheit sollte sich schon bald ergeben.
    Simon der Simpel, wie er gemeinhin genannt wurde, wenn weder sein Vater noch seine Schwester in Hörweite waren, verbrachte fortan so viel Zeit wie möglich mit Cale, Kleist und Vague Henri. Dass nun ein Taubstummer regelmäßig in ihre Runde kam, empfanden die drei überhaupt nicht als lästig. Wie sie selbst war Simon ein oft gedemütigter Außenseiter, den sie umso mehr bedauerten, als für ihn all das zum Greifen nah schien, was für sie der Himmel auf Erden bedeutete – Geld, Adel, Macht – und was für den Taubstummen doch unerreichbar blieb. Außerdem durfte er nicht lästig werden. Es stimmte zwar, dass sein Verhalten unberechenbar und unbändig war, doch das lag nur daran, dass sich niemand die Zeit genommen hatte, ihm Höflichkeit beizubringen oder das, was die Jungen darunter verstanden. Genau das taten sie nun, indem sie ihn anbrüllten, wenn er ihnen auf den Wecker fiel – was ihm nichts ausmachte, da er sie nicht hörte – oder durch Tritte in den Hintern, was schon eher wirkte. Vor allem aber hatten sie erkannt, dass es das Beste war, ihn bei seinen Anfällen oder sonstigen Streichen gar nicht zu beachten. Das gefiel ihm überhaupt nicht, und so lernte er rasch die grundlegenden Verhaltensregeln für einen Zögling bei den Erlösermönchen. Diese mochten zwar in den Salons von Memphis keinen großen Vorteil bringen, stellten aber die einzigen Manieren im Umgang mit Menschen dar, die ihm jemals beigebracht wurden.
    Von Arbell hatte Cale erfahren, dass Simon die besten Lehrer bekommen hatte, doch ohne den geringsten Erfolg. Die Jungen hatten jedoch einen entscheidenden Vorzug gegenüber den besten Lehrern in Memphis. Die Mönche hatten für die Tage und Wochen, in denen Schweigepflicht herrschte, eine einfache Zeichensprache entwickelt. Die Akoluthen, die sich sogar noch öfter im Schweigen üben mussten, hatten die Zeichensprache weiterentwickelt. Nach erfolglosen Versuchen, Simon zum Nachsprechen zu bewegen, ging Cale dazu über, ihm ihre Zeichen beizubringen, zum Beispiel für Wasser, Stein, Mensch, Vogel, Himmel und so weiter. Schon nach ein paar Tagen Unterricht hatte Simon Cale am Ärmel gezupft, als sie im Garten an einem Teich mit Enten vorbeigingen, und in Zeichensprache das Wort

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