Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die linke Hand Gottes

Die linke Hand Gottes

Titel: Die linke Hand Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Hoffman
Vom Netzwerk:
»Wasservogel« gemacht. Cale schloss daraus, dass Simon wohl gar nicht so beschränkt war. In der folgenden Woche erlernte Simon die gesamte Zeichensprache der Erlösermönche. Wie ein Schwamm sog er alles in sich auf und zeigte damit, dass er alles andere als ein Simpel war, im Gegenteil, er war sehr helle.
    »Er braucht jemanden«, sagte Cale, als sie zu viert in der Wachstube ihr Mittagessen verzehrten, »der für ihn noch mehr Zeichen für Begriffe erfindet.«
    »Wozu denn das«, fragte Kleist, »wenn keiner versteht, was er mit Gesten ausdrückt? Was nützt ihm das?«
    »Simon ist nicht irgendwer. Er ist der Sohn des Marschalls. Die Materazzi können einen fachkundigen Mann dafür bezahlen, dass er Simons Zeichen liest und sie für die anderen laut ausspricht.«
    »Schwanenhals wird für ihn zahlen«, sagte Vague Henri.
    Das war jedoch nicht in Cales Sinn. »Jetzt noch nicht«, sagte er. »Zuerst muss man ihm zugestehen, sich an seinem Vater und allen anderen außer Schwanenhals zu rächen. Er muss etwas Großes machen, um es ihnen einmal richtig zu zeigen. Ich finde jemanden und zahle für ihn.«
    Das waren zwar seine Gründe, aber nicht die ganze Wahrheit. Ihm war nicht entgangen, dass Arbell ihre Einstellung ihm gegenüber geändert hatte, aber wie sehr, das wusste er nicht. Er kannte sich nicht aus – wie sollte er auch? – mit den Gefühlen einer schönen und allseits begehrten jungen Frau für einen Burschen, der ihr eine Heidenangst einjagte. Er brauchte etwas Dramatisches, um sie zu beeindrucken, und je spektakulärer, desto besser.
    Und so stand Cale am folgenden Tag in Begleitung von IdrisPukke, seinem Berater in dieser Angelegenheit, im Arbeitszimmer des Aufsehers der Ministerialenschule, eine Einrichtung, die landläufig unter dem Namen »Hirnpflanzschule« bekannt war. Hier wurden die vielen Beamten ausgebildet, die für die Verwaltung des Reiches nötig waren. Die Schlüsselstellungen waren selbstverständlich den Materazzi vorbehalten, neben dem Amt des Statthalters in dieser und jener Provinz auch jeder andere Posten mit Macht und Einfluss. Allerdings konnten die Materazzi ein solches Riesenreich nicht aus eigener Kraft sachkundig verwalten, da sich in ihren Reihen nicht genügend qualifizierte Mitglieder fanden. So kam es zur Gründung der Hirnpflanzschule, bei der strikt nach dem Grundsatz von Verdienst und Leistung verfahren wurde, damit die öffentliche Verwaltung nicht durch inkompetente Amtsträger im Chaos versank. Wurde wieder ein schwachsinniger Sohn oder ein liederlicher Neffe eines Materazzi-Aristokraten zum Statthalter einer neu eroberten Provinz ernannt, stellte man ihm gut ausgebildete Ministeriale in hinreichender Anzahl zur Seite, damit der Schaden, den er anrichtete, begrenzt wurde. Es lag also im Eigeninteresse der Aristokraten, dass ein Hort des Wissens gepflegt wurde, der auch den Söhnen von Kaufleuten, aber nicht den Armen, ein Ziel und eine Rolle in der Zukunft von Memphis bot. Diese hatten keinen Grund, sich an jenen Verschwörungen gegen die herrschende Ordnung zu beteiligen, die damals und bis heute viele Aristokratien zu Fall gebracht haben.
    Der Aufseher betrachtete IdrisPukke, dessen wechselhafte Karriere ihm einen zweifelhaften Ruf verschafft hatte, mit misstrauischen Augen. Sein Misstrauen wurde durch die Anwesenheit des verwegen aussehenden jungen Mannes an seiner Seite, dessen Ruf sogar noch schlechter, wenn auch geheimnisvoll war, keineswegs zerstreut, im Gegenteil.
    »Was kann ich für Euch tun?«, fragte er so unbeteiligt wie möglich.
    »Lord Vipond«, sagte IdrisPukke und legte dem Leiter ein Schreiben auf den Tisch, »legt Wert darauf, dass Ihr uns alle nur denkbare Unterstützung gewährt.«
    Der Aufseher begutachtete das Schreiben so, als könnte es sich vielleicht um eine Fälschung handeln.
    »Wir brauchen Euren besten Lehrer als persönliche Stütze für einen Angehörigen der Familie des Marschalls.«
    Die Miene des Aufsehers hellte sich auf – das könnte nützlich sein.
    »Aha. Aber ist solch eine Stelle nicht üblicherweise einem Materazzi vorbehalten?«
    »Üblicherweise schon«, bestätigte IdrisPukke, aber so, als ob diese eherne Tradition gar keine wirkliche Bedeutung mehr habe. »In diesem Fall brauchen wir einen Lehrer mit überragendem Verstand und besonderen Sprachfähigkeiten. Wir suchen einen selbstständig denkenden, sehr anpassungsfähigen Charakter. Habt Ihr so einen Mann?«
    »Wir haben viele solche Männer.«
    »Dann wollen wir

Weitere Kostenlose Bücher