Die linke Hand Gottes
Simon in der Ecke und duldete niemanden in seiner Nähe, nicht einmal seine Schwester.
Cale nahm die ratlose Arbell beiseite. »Ich habe Schafgarbe auf dem Markt besorgt. Damit kann man die Blutung stillen.« Dann wies er mit einer Kopfbewegung auf das Drama, das sich in der Ecke des Zimmers abspielte. »Dabei wird nichts Gutes herauskommen. Fragt doch Euren Vater, was er davon hält.«
Arbell Schwanenhals seufzte. »Mein Vater will mit ihm nichts zu tun haben. Dazu muss man wissen, dass es als große Schande gilt, solch ein Kind zu haben. Ich kann das selbst entscheiden.«
»Gut, dann entscheidet.«
Kurz darauf waren die Quacksalber fort, und nur noch Cale und Arbell standen Simon gegenüber. Simon hatte mit dem Schreien aufgehört, beäugte aber die beiden misstrauisch aus seiner Ecke. Cale stellte sich so, dass Simon beobachten konnte, wie er das Papiertütchen mit Schafgarbenpulver aufmachte und etwas auf den Handteller schüttete. Cale zeigte auf das Pulver, dann auf Simons Wunde und dann auf seine eigene Stirn. Er wartete einen Augenblick, dann näherte er sich vorsichtig Simon, ging vor ihm in die Knie und zeigte ihm die offene Hand mit dem Pulver. Simon sah ihn an, sein Misstrauen wich vorsichtiger Neugierde. Cale nahm eine Prise Pulver und brachte sie auf die Höhe von Simons Kopf. Er legte seinen eigenen Kopf in den Nacken und bedeutete Simon, es ebenso zu tun.
Obwohl der Junge eine argwöhnische Miene machte, fügte er sich, und Cale streute ihm das Pulver auf die blutende Wunde. Nachdem er das insgesamt sechsmal getan hatte, trat er einen Schritt zurück und ließ Simon in Ruhe.
Binnen zehn Minuten war die Blutung gestillt. Simon war jetzt viel ruhiger und duldete, dass Cale die Wunde von dem Pulver säuberte. Das war zwar schmerzhaft, aber Simon ertrug stoisch die Behandlung, die Cale, von Arbell aufmerksam beobachtet, an ihm vornahm. Daraufhin lotste er Simon in die Mitte des Zimmers und ließ ihn dort auf dem Tisch Platz nehmen. Aus der Gewandtasche holte er ein seidenes Etui und öffnete es. Darin waren Nadeln unterschiedlicher Gestalt und Größe, jeweils mit einem eingefädelten Seidenfaden. Als Cale Simon eine Nadel samt Faden zeigte, kehrte die Angst in Simons Augen zurück. Auch mehrere pantomimische Vorführungen hatten nur zur Folge, dass sich Simons Unruhe noch steigerte. Bei jedem neuen Versuch, die Nadel an der Wunde anzusetzen, schrie der unverständige Junge lauter.
»Er wird das niemals zulassen. Versucht es auf andere Weise«, sagte Arbell.
»Seht her«, sagte ein entnervter und von Mal zu Mal ungeduldigerer Cale, »die Wunde ist zu tief. Wenn sie sich entzündet, dann hat er wirklich Grund zum Schreien – oder aber er sagt keinen Piep mehr.«
»Er kann doch nichts dafür – er versteht nun einmal nichts.«
Dagegen war schwer etwas zu sagen. Cale ließ die Arme sinken und seufzte. Er überlegte, trat einen Schritt zurück und zog ein kleines Messer aus der Gewandtasche. Bevor Simon und Arbell ihn hindern konnten, schnitt er sich tief in den Handteller der linken Hand, an der fleischigen Stelle unterhalb des Daumens.
Eine minutenlange Stille folgte. Simon und seine Schwester waren schockiert und fassungslos über das, was vor ihren Augen geschehen war. Cale legte das Messer beiseite. Mit einem Stück Verbandstuch drückte er auf die Schnittwunde, aus der das Blut quoll. Die nächsten Minuten sagte er kein Wort und die anderen beiden schauten ihn nur an. Dann löste er vorsichtig den Verband und stellte fest, dass die Wunde kaum noch blutete. Er ging hinüber an den Tisch, nahm Nadel und Faden und zeigte beides Simon, so als würde er ihm gleich einen Zaubertrick vorführen. Er setzte die Nadel an und begann, die Wunde zu vernähen. Er zog sie fest mit einer konzentrierten Miene, wie wenn er ein Loch im Strumpf stopfen würde. Dann machte er einen Knoten. Das Ganze wiederholte er dreimal, bis die Wunde fest verschlossen war. Die genähte Wunde hielt er Simon vor die Augen, damit er sie genau betrachtete. Danach sah er Simon fest an, nickte und wartete. Simon war blass geworden, atmete tief durch und nickte ebenfalls. Cale nahm eine weitere Nadel zur Hand, setzte sie an die Stirnwunde des Jungen – er betrachtete ihn als Jungen, obwohl sie beide dasselbe Alter hatten – und stach die Nadel ins Fleisch.
Die fünf Stiche wurden nicht ohne Simons gehöriges Jaulen und Jammern ausgeführt. Nach der Prozedur lächelte Cale und schüttelte Simon die Hand, der mit kalkweißem
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