Die linke Hand Gottes
den besten.«
Keine zwei Stunden später befand sich Jonathan Koolhaus, noch ganz benommen von dem Glück, das ihm widerfahren war, in der Festung, wo er mit allen Ehren, die dem persönlichen Lehrer eines Materazzi gebührten, erst in die Gemächer der Arbell Schwanenhals und danach in die Wachstube geführt wurde.
Falls Jonathan Koolhaus den Ausspruch des Generals Void – »Keine Nachricht ist so gut oder so schlecht, wie sie anfangs scheint« – noch nicht gekannt hatte, dann hatte er jetzt Gelegenheit, seine Stichhaltigkeit zu überprüfen. Er hatte erwartet, in repräsentativen Räumen empfangen zu werden, im Wartestand zu einem mondänen Leben, worauf er, wie ihm schien, dank seinen unbestreitbaren Fähigkeiten auch Anspruch hatte. Stattdessen landete er in einer Wachstube mit provisorischen, längs der Wände stehenden Betten und einer ganzen Batterie martialisch anmutender Waffen. Irgendetwas stimmte hier nicht. Eine halbe Stunde später traten Cale und Simon Materazzi ein. Cale stellte sich selbst vor, während Simon nur unverständliche Laute gegenüber seinem nun verstört dreinblickenden Lehrer hervorbrachte. Dann erfuhr er, was von ihm verlangt wurde. Er sollte, ausgehend von seinen Sprachkenntnissen, eine für Simon geeignete Zeichensprache entwickeln und ihm dann auf Schritt und Tritt als Dolmetscher dienen. Man kann sich die herbe Enttäuschung ausmalen, die über den armen Jonathan hereinbrach. Er hatte auf eine glänzende Zukunft an der Spitze der Gesellschaft von Memphis spekuliert und musste nun erkennen, dass er einem Materazzi-Angehörigen mit der Beschränktheit eines Dorfdeppen als Sprachrohr dienen sollte. Er war ganz grün um die Nase.
Auf Cales Veranlassung hin zeigte ihm ein Diener sein Zimmer, das nicht viel anders als sein altes in der Hirnpflanzschule war. Dann führte man ihn in Simons Zimmer, wo Vague Henri auf ihn wartete. Dieser sollte ihm die Grundbegriffe der unter den Mönchen benutzten Zeichensprache erklären. Die Aufgabe machte den schon verzweifelten Koolhaus seine Enttäuschung vergessen. Sein Ruf, ein angeborenes Talent für Sprachen zu besitzen, bestand zu Recht. Er sah sofort, dass ihm der Aufbau einer Zeichensprache keine Schwierigkeiten bereiten würde. Binnen zwei Stunden hatte er alle Zeichen schriftlich festgehalten. Nun packte ihn der Ehrgeiz. Eine neue Sprache zu erfinden schien ihm eine spannende Herausforderung. Keine Nachricht ist so gut oder so schlecht, wie sie anfangs scheint. Wie man es auch sah, er musste sich damit abfinden, dass er es mit einem Simpel zu tun hatte.
In den folgenden Tagen korrigierte Koolhaus diese erste Einschätzung. Simon war sein ganzes bisheriges Leben lang mehr oder weniger sich selbst überlassen gewesen. Ihm fehlte jede Disziplin, nie hatte eine Schule oder ein Erzieher auf ihn eingewirkt. Zwei Dinge machten es Koolhaus möglich, Simon zu unterrichten. Simons hohe Meinung von Cale, ja seine Ehrfurcht vor ihm, und sein unbändiges Verlangen, sich mit anderen zu verständigen. Er kannte jetzt das Vergnügen der Verständigung und sei es auch nur mittels der schlichten Zeichensprache der Mönche. Beides machte aus Simon einen vielversprechenden Schüler, was er anfangs nicht zu sein schien. Der Schüler machte rasche Fortschritte, die nur durch die Anfälle unterbrochen wurden, die Simon zweimal täglich bekam, wenn er nicht begriff, was Koolhaus wollte. Beim ersten Anfall ließ der verunsicherte Koolhaus nach Cale schicken. Dieser brachte Simon damit zum Schweigen, dass er ihm mit einer tüchtigen Tracht Prügel drohte, falls er sich weiterhin nicht zu benehmen wisse. Simon, der nach der Operation Cale so ziemlich alles zutraute, fügte sich sofort. Cale übertrug mit viel theatralischem Aufwand die Befugnis auf Koolhaus, schreckliche, aber nicht näher beschriebene Strafen zu verhängen. Damit war der Fall erledigt. Koolhaus machte mit dem Unterricht weiter, und Simon, der vor allem Cales Sympathie gewinnen wollte, lernte fleißig. Koolhaus durfte unter keinen Umständen verraten, was er eigentlich hier tat. Seine Anwesenheit in der Festung wurde öffentlich damit begründet, dass er vorübergehend Simons Leibwächter sei.
Zwar ahnte Arbell Schwanenhals nichts von Cales großen Plänen für ihren Bruder, aber sie merkte sehr wohl, was er für ihn tat. In der Ordensburg gab es keine Spiele – Spielen galt als Gelegenheit zum Sündigen. Das Einzige, was einem Spiel nahekam, war eine Kraftübung, bei der zwei Parteien, nur
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