Die linke Hand Gottes
Himmels«, hieß es am Schluss.
Cale zerbrach sich den Kopf, was das wohl alles zu bedeuten habe.
»Die Angreifer auf der anderen Seite der Stadtmauer haben solche Flugblätter überall hinterlassen«, sagte Vipond. »Diesmal kann man die Sache nicht geheim halten. Arbell Materazzi wird beim Volk als Tugendengel verehrt.«
Das stimmte nun nicht mehr ganz, aber die grotesken Lügen, die das Flugblatt verbreitete, machten Vipond und Cale gleichermaßen sprachlos.
»Hast du eine Idee, was damit bezweckt wird?«, fragte Vipond.
»Nein.«
»Ich habe gehört, ihr habt einen Gefangenen vernommen.«
»Was von ihm übrig geblieben war. Er hat uns nur gesagt, was wir schon wussten. Das war kein ernst gemeinter Angriff, denn man hat nicht einmal echte Krieger eingesetzt. Wir kannten zehn von ihnen – Feldköche, Schreiber, ein paar Veteranen, die einmal zu oft gegen die Disziplin verstoßen hatten. Deshalb war es so einfach, den Angriff abzuwehren.«
»Das wiederholst du aber nicht an einem anderen Ort. Die offizielle Sprachregelung lautet, dass die Materazzi bei dem hinterhältigen Angriff einer Eliteeinheit der Erlöserkrieger einen großen Sieg errungen haben.«
»Eine Eliteeinheit aus Schweinehirten.«
»Der Angriff stellt einen Frevel dar, darum gebührt unseren Soldaten allerhöchstes Lob für seine Abwehr. Dieser Darstellung darf nicht widersprochen werden, ist das klar?«
»Bosco will die Materazzi zu einem Angriff auf ihn verleiten.«
»Das ist ihm schon gelungen.«
»So zu handeln, wie Bosco es sich wünscht, ist keine gute Idee. Ich mache Euch nichts vor.«
»Ich glaube dir.«
»Dann müsst Ihr den Verantwortlichen sagen, dass sie sich irren, wenn sie glauben, eine Armee von ausgebildeten Kriegermönchen sei so einfach zu schlagen wie diese zusammengewürfelte Truppe hier.«
Jetzt sah Vipond den Jungen zum ersten Mal direkt an.
»Mein Gott, Cale, wenn du wüsstest, mit wie wenig Verstand die Welt regiert wird. Schaut man sich in der Weltgeschichte um, so hat es kein Unglück gegeben, vor dem nicht vorher gewarnt worden ist. Aber keinem dieser Menschen, die mit ihrer Warnung Recht hatten, hat man Ehrenkränze geflochten. Die Materazzi werden sich in dieser Sache von niemandem belehren lassen und schon gar nicht von Thomas Cale. So ist das nun einmal auf der Welt, und weder ein Niemand wie du noch ein Mann mit einem gewissen Ruf wie ich werden daran etwas ändern.«
»Ihr werdet also nichts tun, um die Materazzi davon abzubringen?«
»Nein, das werde ich nicht und du auch nicht. Memphis ist die Hauptstadt der größten Macht auf Erden. Drei Kräfte halten dieses Riesenreich zusammen, nämlich Handel, Gier und der Glaube, dass die Materazzi zu mächtig sind, um von irgendjemandem herausgefordert zu werden. Sich hinter den Mauern von Memphis zu verschanzen und auf den Angriff der Erlöser zu warten, ist keine gute Wahl. Memphis könnte eine hundertjährige Belagerung durchhalten, aber spätestens nach einem halben Jahr würde es zu Aufständen kommen mit Folgen bis in die entferntesten Winkel des Reiches. Die Zeichen stehen auf Krieg – also fangen wir ihn am besten selber an.«
»Ich weiß, wie die Erlöser kämpfen.«
Vipond sah ihn fassungslos an. »Was erwartest du denn? Dass man dich um Rat fragt? Die Generäle, die mit der Planung des Feldzuges befasst sind, haben nicht nur die halbe bekannte Welt erobert, sie haben auch Seite an Seite mit Solomon Solomon gekämpft oder sind von ihm in der Waffenkunst ausgebildet worden, mögen sie auch sonst nicht viel für ihn übriggehabt haben. Aber du – ein hergelaufener Junge, ein Niemand, der wie ein hungriger Köter kämpft. Du hast keine Chance.« Er winkte ungeduldig ab und fügte, wie um ihn zurechtzuweisen, noch hinzu: »Du hättest Solomon Solomon leben lassen sollen.«
»Hätte er das Gleiche auch für mich getan?«
»Sicherlich nicht – ein Grund mehr, seine Schwäche auszunutzen. Hättest du ihn leben lassen, hättest du dir damit bei den Materazzi hohes Ansehen erworben und ihn in die Bedeutungslosigkeit gestoßen. Macht kennt keine Nachsicht – weder gegenüber dem Mann, der sie besitzt, noch gegenüber seinen Opfern. Letztere zermalmt sie, Erstere macht sie süchtig. In Wahrheit besitzt niemand die Macht wirklich auf Dauer. Wer sie vom Schicksal geborgt hat, verlässt sich zu sehr auf sie und zerstört sich selbst.«
»Habt Ihr Euch das ausgedacht oder habt Ihr es von jemand anderem? Der hat dann aber nicht wie ich vor einer
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