Die linke Hand Gottes
die immer dann auftauchten, wenn die Materazzi in den Krieg zogen. Tatsächlich vermissten sie Solomon Solomon schmerzlich. Als berühmter Krieger hatte er sich bei der Vermittlung zwischen den verschiedenen Materazzi-Clans, die um Vorrang in der Schlachtordnung kämpften, unentbehrlich gemacht.
»Wisst Ihr, mein lieber Vipond«, stöhnte der Marschall, »bei aller Bewunderung für die Raffinesse, mit der Ihr diese Fragen behandelt, muss ich doch feststellen, dass man die allermeisten Probleme in dieser Welt mit Schmiergeld lösen kann oder, wenn das nicht hilft, indem man den Gegner in einer dunklen Nacht über eine Klippe stößt.«
»Was wollt Ihr damit andeuten, Mylord?«
»Dieser Junge, dieser Cale. Nicht dass ich Solomon Solomon verteidigen möchte – Ihr wisst, dass ich ihn bremsen wollte -, aber um die Wahrheit zu sagen, ich hielt den Jungen für chancenlos gegen ihn.«
»Und wenn Ihr die Chancen richtig eingeschätzt hättet?«
»Der hohe staatstragende Ton hilft uns jetzt nicht. Erzählt mir nicht, dass Ihr immer eher das Richtige als das Weise tut. Tatsache ist, dass uns Solomon Solomon fehlt; er hätte vieles abgefedert und die Widerspenstigen gezähmt. Wir brauchen Solomon Solomon, Cale brauchen wir nicht.«
»Aber Cale hat Eure Tochter gerettet, Mylord, und dabei sein Leben aufs Spiel gesetzt.«
»Da sieht man es wieder. Ihr solltet besser als jeder andere wissen, dass ich nicht aus persönlichen Motiven handeln darf. Ich weiß, was er getan hat, und ich als Vater bin ihm dafür dankbar. Aber als Herrscher muss ich feststellen, dass unser Staat einen Mann wie Solomon Solomon sehr viel dringender braucht als Cale. Das ist nun einmal eine Tatsache, an der wir nicht vorbeikommen.«
»Was bedauert Ihr also? Dass Ihr ihn vor dem Duell nicht über eine Klippe gestoßen habt?«
»Meint Ihr etwa, Ihr könntet mich in Verlegenheit bringen? Zuerst einmal hätte ich ihm einen großen Sack mit Gold gegeben und ihm deutlich gesagt, sich aus dem Staub zu machen. Übrigens werde ich genau das tun, wenn dieser Krieg vorbei ist.«
»Und wenn er ablehnt?«
»Dann wäre ich sehr auf der Hut vor ihm. Was hält ihn überhaupt bei uns?«
»Dass Ihr ihm eine ehrenvolle Aufgabe in der am besten geschützten Quadratmeile der ganzen Welt gegeben habt.«
»Ist das also mein Fehler? Nun, dann korrigiere ich das. Dieser Junge stellt eine Bedrohung dar. Er bringt nur Unglück. Wenn die Sache mit den Erlösern vom Tisch ist, verschwindet Cale auf die eine oder andere Weise.«
Der andere Grund, weshalb sich der Marschall in so schlechter Laune befand, war die Aussicht, einen ganzen Abend lang mit seinem Sohn an einem Tisch zu sitzen. Diese Demütigung schien ihm unerträglich.
Am Ende verlief das Bankett aber gut. Die geladenen Adligen zeigten Bereitschaft und sogar guten Willen, angesichts der Bedrohung, die für Memphis im Allgemeinen und für Arbell Schwanenhals im Besonderen von den Erlösermönchen ausging, Groll und alte Zwistigkeiten beiseitezulassen und eine geschlossene Abwehrfront zu bilden. Während des Abendessens blendete Arbell alle mit ihrer Schönheit, sie zeigte sich von einer so liebenswürdigen und dabei unterhaltsamen Seite, dass das Porträt, das die Mönche von ihr verbreiteten, nur als groteske Verzerrung bezeichnet werden konnte und für alle einen weiteren Grund abgab, sich vereint der Bedrohung durch diese religiösen Fanatiker entgegenzustellen.
Während des Banketts bemühte sich Arbell verzweifelt, Cale nicht anzuschauen. Sie liebte und begehrte ihn so heiß, dass sie fürchtete, es müsse auch einem achtlosen Beobachter sofort auffallen. Cale wiederum schmollte, denn er glaubte, sie meide ihn, weil sie sich in der Öffentlichkeit seiner schäme. Dagegen stellten sich die Befürchtungen des Marschalls, sein Sohn Simon könne ihm Schande bereiten, als gegenstandslos heraus. Zwar saß der Junge die ganze Zeit über stumm da, aber Angst und Verstörtheit waren aus seinem Gesicht gewichen. Sein Verhalten hatte etwas ganz und gar Normales: Mal schaute er interessiert, mal amüsiert. Der Marschall hingegen wirkte immer gereizter. Er hatte in der Auseinandersetzung mit den vielen Bittstellern seine Stimme überanstrengt und wurde nun einen lästigen Husten nicht mehr los.
Eine weitere Quelle des Ärgers für den Marschall war der junge Mann neben Simon. Er war ihm unbekannt und er sprach den ganzen Abend kein Wort. Dagegen zeichnete er mit der rechten Hand ständig alle möglichen Figuren in die
Weitere Kostenlose Bücher