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Die linke Hand Gottes

Die linke Hand Gottes

Titel: Die linke Hand Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Hoffman
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während ein dritter einen Pfeil in den Oberschenkel erhielt. Der Mann stolperte rückwärts und schrie auf, da traf ihn mit Verzögerung ein Schwertstreich auf den Mund und hieb ihm die Kinnlade ab. Damit hatte Cale das Getümmel hinter sich gelassen, er erreichte die Tür, drehte sich um und stand bereit, die angreifenden Kriegermönche zu empfangen. Unter dem Hagel der Pfeile und Bolzen war ihr Angriff schon zum Stillstand gekommen. Die Mönche suchten Deckung hinter einer hüfthohen Mauer, die V-förmig auf den Palast zulief. Cale stand vor der Tür und erwartete ihren erneuten Angriff. Die Mönche suchten gebückt Schutz vor dem tödlichen Pfeilhagel, teils pirschten sie sich auf allen vieren zur Tür vor. Cale griff in einen großen Terrakottakübel, in dem ein alter Olivenbaum stand, und klaubte faustgroße Kieselsteine heraus. Damit bewarf er seine Gegner, aber nicht wie in einem Spiel für kleine Jungen, denn die Steine trafen Zähne und Hände der Mönche und zwangen sie aus der Deckung und wieder hinein in den Pfeilhagel. Mit dem Mut der Verzweiflung stürzten sich die fünf noch unverletzten Mönche auf Cale. Er kämpfte wie ein Teufel, schlug, trat und biss, bis einer nach dem anderen fiel. Doch mitten in diesem Kampf um Leben und Tod hatte Cale eine merkwürdige Empfindung. Während er wie ein Held aus einer Legende an seinem Platz stand und die Gegner mit jedem Hieb und jedem Stoß ins Jenseits beförderte, als wären sie nur Schilfrohr und Grashalme, wuchs in ihm der Verdacht, dass irgendetwas nicht stimmte. Die Materazzi, die nur drei Männer verloren hatten, warfen die Angreifer zurück. Daraufhin sank den Mönchen der Mut und sie suchten das Heil in der Flucht. Die Materazzi setzten ihnen mit dem Schwert nach und machten sie nieder. Henris und Kleists Pfeile taten den Rest. Die Gefährten brauchten Cale keine Deckung mehr zu geben und erledigten die Mönche, die durch den Einstiegsschacht flüchten wollten.
    Cale spürte jetzt die Gefühlswallungen nach dem Kampf, das immer noch hämmernde Herz und das in den Adern rauschende Blut. Ihm war, als wogte der Innenhof vor seinen Augen hin und her: der verblassende Schrecken auf dem Gesicht eines Mönches, ein Materazzi-Soldat, der sich den offenen Bauch hielt, um seine Eingeweide nicht zu verlieren; das fast geflüsterte »Ja! Ja!« eines anderen Soldaten, der damit die Tatsache, noch am Leben, noch einmal der Schande entkommen zu sein, auf seine Weise feierte; und das jugendliche Gesicht eines Mönches, die Haut weiß wie Wachs, der seinen Tod kommen sah, als ein Materazzi über ihm stand. Und wieder fühlte Cale seinen Verdacht bestätigt, dass irgendetwas nicht stimmte. Er wollte dem Materazzi-Soldaten schon zurufen, den Gnadenstoß nicht zu geben, aber er brachte nur ein erschöpftes Quieken hervor, mit dem er den Todesschrei des Mönches und die letzten Zuckungen der Füße im Staub nicht verhindern konnte.
    »Alles in Ordnung, mein Sohn?«, fragte eine Wache. Cale keuchte und atmete tief durch.
    »Befehl ihnen, aufzuhören.« Er deutete auf die Materazzi, die zwischen den Verwundeten umhergingen und einem nach dem anderen den Todesstoß gaben. »Ich muss mit ihnen sprechen, und zwar jetzt!« Die Wache rief etwas und führte Cales Befehl aus. Cale saß auf der niedrigen Mauer und sah einem Falter zu, der am Rand einer Blutlache seinen Rüssel eintunkte, und, da es offenbar schmeckte, zu saugen begann.
    »Was ist los mit dir?«, sagte Kleist, der heranstolziert kam. »Du lebst doch noch.«
    »Irgendwas stimmt hier nicht.«
    »Du hast vergessen, danke zu sagen.«
    Cale sah ihn an. »Schau nach, ob es Überlebende gibt.«
    Kleist wollte ihn schon fragen, woran sein letzter Sklave gestorben war, aber er merkte nun, dass Cale nicht in der üblichen Verfassung war, und verkniff sich den Scherz.
    Vague Henri war schon dabei, nach den Opfern zu schauen, die Bolzen aus seiner Armbrust zu zählen, und bat im Stillen Gott, er möge seinen Opfern einen schnellen Tod schenken. Kleist tat das Gleiche, denn die Materazzi versetzten jedem Mönch, den sie noch am Leben fanden, den Gnadenstoß.
    »Cale, schau dir das mal an«, rief Kleist, der gerade einen Verwundeten mit einem Pfeil im Rücken umgedreht hatte. Henri sah, dass Cale zu Kleist aufschloss, blieb aber selbst zurück, denn ihm war übel. »Schau«, sagte Kleist, »das ist Westaby.« Cale betrachtete das starre Gesicht des Toten, eines achtzehnjährigen Mannes, den er, seit er sich erinnern konnte,

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