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Die linke Hand Gottes

Die linke Hand Gottes

Titel: Die linke Hand Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Hoffman
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grölenden Menge gestanden, die mich aus purem Zeitvertreib am liebsten in der Arena hingemetzelt gesehen hätte.«
    »Sagst du das aus Selbstmitleid? Man braucht nicht selbst dort gestanden zu haben, um das zu wissen.«
    Verärgert, nicht zuletzt weil er nichts zu erwidern wusste, wollte Cale gehen.
    »Ach ja, der amtliche Bericht über die Ereignisse des gestrigen Abends wird deinen Beitrag und den deiner Freunde herunterspielen. Darüber wirst du dich nicht beschweren.«
    »Und wozu das?«
    »Nach deinem Auftritt in der Opera Rosso bist du nicht mehr gern gesehen. Denk über das nach, was ich dir vorhin gesagt habe, dann wirst du es begreifen. Und selbst wenn du es nicht begreifst, sprich nicht über die gestrigen Ereignisse.«
    »Es ist mir doch egal, was die Materazzi denken.«
    »Das ist überhaupt dein Problem, dass dir gleichgültig ist, was andere Menschen denken. Aber das sollte es nicht.«

    In der folgenden Woche verließen die Materazzi ihre Landgüter und strömten nach Memphis. Man konnte sich kaum bewegen, denn Ritter und ihre bewaffneten Mannen, dazu ihre Frauen und deren Dienerschar, aber auch eine große Anzahl von Dieben, Beutelschneidern, Glücksspielern, Huren, Herumtreibern, Wucherern sowie ganz gewöhnlichen Händlern aller Art, sie alle drängten sich in der Stadt auf der Suche nach dem großen Geld, das mit dem Krieg zu verdienen war. Doch die Leute trieb nicht nur die Gier nach dem Mammon um. Innerhalb der Materazzi-Aristokratie standen komplizierte Fragen zur Klärung an. Wem gebührte der Vortritt? Der Platz, den ein Materazzi in der Schlachtordnung einnahm, sagte etwas über seine Stellung in der Gesellschaft aus. Daher war ein Schlachtplan einerseits eine Frage der militärischen Strategie, andererseits aber auch wie die Sitzordnung bei einem königlichen Hochzeitsbankett. Das gab vielfach Gelegenheit, sich begünstigt oder benachteiligt zu fühlen. Mitten in der fieberhaften Kriegsvorbereitung verbrachte der Marschall viel Zeit auf Banketten und Gesellschaften, weil er alle Hände voll damit zu tun hatte, gekränkte Materazzi zu besänftigen, indem er ihnen erläuterte, dass eine Entscheidung, die auf den ersten Blick für sie wie eine Kränkung aussah, bei Licht besehen eine Ehre ganz besonderer Art darstellte.
    Bei einem solchen Bankett, zu dem auch Cale eingeladen war – auf Viponds Ersuchen, der damit Cales Rehabilitation betrieb -, nahmen die Ereignisse einen unerwarteten Lauf. Dem Wunsch des Marschalls, ihm bei öffentlichen Auftritten die Anwesenheit seines Sohnes Simon zu ersparen, wurde nicht immer entsprochen, vor allem dann nicht, wenn Arbell ausdrücklich darum gebeten hatte, Simon einzuladen.
    Lord Vipond war ein Meister im Umgang mit Nachrichten und Gerüchten. Er verfügte über ein weit gespanntes Netz von Vertrauensleuten und Zuträgern, von Lords bis hinab zu Schuhputzern, aus allen Schichten der Gesellschaft von Memphis. Wenn er wollte, dass etwas in der Stadt bekannt wurde, versorgte er seine Vertrauten mit einer Geschichte, die, ob wahr oder unwahr, überall verbreitet wurde. Über ein solches Instrument, das nützliche Gerüchte in Umlauf setzt und schädliche dementiert, verfügten alle Herrschenden angefangen vom Pharao Ozymandias bis zum Bürgermeister von Krähwinkel. Im Unterschied zu diesen und allen übrigen Gerüchteköchen wusste Vipond aber, dass in den Fällen, auf die es wirklich ankam, fast alles, was seine Informanten verbreiteten, auch wahr sein musste, sonst wurde es nicht geglaubt. Wenn Vipond dann wollte, dass eine Lüge allgemein für wahr gehalten wurde, hatte er fast immer Erfolg. Er hatte von seinem Vertrauenskapital schon einiges für Cale verbraucht, da ihm wohl bewusst war, dass viele aus Solomon Solomons Kreis darauf brannten, Rache zu nehmen. Cales Ermordung war so gut wie beschlossen. Vipond hatte, anders als gegenüber Cale angekündigt, eine Darstellung in Umlauf gebracht, wonach Cale tapfer an der Seite der Materazzi für Arbells Befreiung gekämpft hatte. Damit war die unmittelbare Gefahr für Cale, durch Gift oder einen Dolchstoß in den Rücken das Leben zu verlieren, weitgehend gebannt. Warum Vipond so viel Zeit für einen namenlosen jungen Mann verwendete, hätte er – ungewöhnlich genug – nicht sagen können, aber diese Frage stellte ihm auch niemand.
    Vipond und Marschall Materazzi hatten schon viele Stunden lang erfolglos über einem Schlachtplan gebrütet, der die schwierigen Fragen um Macht und Status berücksichtigte,

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