Die linke Hand Gottes
nicht. Ich war nur ein Werkzeug des Herrn, der sein Wesen für unser aller Heil und zum Dienst Gottes beugte. Auch Ihr müsst diesen Zug an ihm gesehen haben und das ängstigt Euch. Die Liebenswürdigkeiten, die Ihr manchmal an ihm beobachtet habt, sind wie die Flügelschläge eines Vogel Strauß – so kraftvoll er seine Flügel auch schlägt, niemals wird er fliegen. Überlasst ihn uns und rettet damit Euren Vater, Euer Volk und Euch selbst.« Wieder legte er eine Kunstpause ein. »Und Cale.«
Arbell wollte etwas sagen, aber Bosco hob die Hand und gebot ihr zu schweigen. »Ich habe nichts mehr hinzuzufügen. Geht mit Euch zu Rate und entscheidet Euch dann. Ich übermittle Euch Genaueres über Zeit und Ort des Treffens mit Cale. Entweder schreibt Ihr den Brief oder nicht.«
Zwei Erlösermönche, die neben der Tür Wache gestanden hatten, gaben dem Marschall und Arbell mit Gesten zu verstehen, dass sie ihnen folgen sollten. Als Arbell schon in der Tür stand, wandte sich Bosco noch einmal ihr zu, als fühle er wider Willen Mitleid für sie in ihrer schweren Wahl. »Bedenkt, dass Ihr verantwortlich für das Leben vieler tausend Menschen seid. Ich verspreche, niemals wieder die Hand gegen ihn zu erheben und es jedem anderen zu verbieten.« Die Tür ging zu und Bosco sagte leise zu sich selbst: »Auf dass die Lippen, die ihm jetzt so süß wie Honig dünken, schon bald so bitter wie Wermut und so scharf wie ein zweischneidiges Schwert sein werden.«
Der Kriegsmeister drehte sich um und bedeutete Cale, hervorzutreten. Die Wache befreite Cale von dem Knebel und führte ihn zu Bosco.
»Glaubt Ihr etwa, dass sie Euch glaubt?«, fragte Cale.
»Ich wüsste nicht, warum sie es nicht tun sollte. Das Meiste ist wahr, wenn es auch nicht die ganze Wahrheit ist.«
»Und die wäre?«
Bosco sah ihn an, als wolle er etwas aus seiner Miene lesen, doch schien er unsicher wie noch nie zuvor. »Nein«, sagte er schließlich. »Warten wir ihre Antwort ab.«
»Was befürchtet Ihr?«
Bosco lächelte. »Nun, vielleicht ist ein bisschen Aufrichtigkeit zwischen uns beiden in diesem Stadium angebracht. Ich befürchte, dass wahre Liebe am Ende alles überwiegt und dass sie sich weigert, dich in meine Hände auszuliefern.«
Wieder in ihren Gemächern durchlitt Arbell Schwanenhals die fürchterlichen Qualen einer Wahl zwischen Pflicht und Neigung, sie fühlte den schrecklichen und für unmöglich gehaltenen Verrat, der in dieser Wahl lag. Doch es war noch schlimmer, als es den Anschein hatte, denn ganz tief in ihrem Herzen – und dort im geheimsten Winkel – hatte sie Thomas Cale schon verraten. Man verstehe, wie schwer es sie treffen musste, mit anzuschauen, wie die ganze ihr vertraute Welt in Trümmern versank. Und dann die fürchterliche Macht der Worte Boscos, die wie ein Echo ihrer eigenen geheimsten Gedanken wirken mussten. So faszinierend Cale für sie war, seine Fremdartigkeit reizte sie nicht nur, sie stieß sie auch ab. Er war zornig, gewalttätig, todbringend. Bosco hatte sie durchschaut. Eine junge Frau ihrer Herkunft konnte gar nicht anders sein als vornehm und zart. Und – da gab es keinen Zweifel – genau diese Vornehmheit und Zartheit liebte Cale an ihr so sehr. Doch Cale war in den heißen Flammen von Furcht und Schmerz zu seiner jetzigen Form geschmiedet worden. Wie konnte sie bei einem wie ihm für längere Zeit bleiben? Eine geheime Seite ihrer Seele hatte – unbewusst, wie man gerechterweise sagen muss – schon seit einer Weile nach einem Weg gesucht, ihren Geliebten zu verlassen. Und während Cale noch auf Rettung durch sie hoffte und er seinerseits auf Rettung für Arbell sann, hatte sie schon die bittere, aber vernünftige Entscheidung für das Gute, für die vielen und gegen den einen getroffen. Wer hätte dagegen gesprochen? Jedenfalls nicht sie. Gewiss würde sogar Cale sie eines Tages verstehen.
SECHSUNDDREISSIGSTES KAPITEL
F ast sechs Stunden später betrat Bosco das Zimmer, in dem Cale hinter Schloss und Riegel gehalten wurde. Er hatte zwei Briefe bei sich. Einen davon überreichte er Cale. Dieser las ihn, offenbar zweimal, mit ausdrucksloser Miene. Dann gab ihm Bosco den zweiten Brief.
»Sie bat mich mit Tränen in den Augen, dir dies nach deiner Gefangennahme zu geben. Du mögest ihr doch glauben, wie schwer es ihr gefallen sei, dich mir auszuliefern. Sie bittet dich deswegen um Vergebung.«
Cale nahm den zweiten Brief entgegen und warf ihn ins Feuer.
»Ich habe etwas Wunderbares geträumt«,
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