Die linke Hand Gottes
Hundegebell herantrug. Zwar waren seine Verfolger noch fern, dennoch drohte ihm nun Gefahr. Ein seltsam schriller Ton, nicht wie das gewöhnliche Gekläff einer Meute, sondern ein wütendes Quietschen wie von einem Schwein, dem die Kehle durchtrennt wird. Und feist wie Schweine waren die Hunde tatsächlich und sogar noch wütender als ein Keiler und mit einem Gebiss, als hätten sie rostige Nägel im Maul. Der Ton erstarb wieder, und Cale hielt Ausschau nach den ersten Anzeichen der Oase Voynich. Nichts unterbrach die Monotonie der sich endlos hinziehenden kargen Höhen, die den Scablands den Namen gaben. Er lief weiter, diesmal mit größeren Schritten. Der Weg war noch weit und die Hunde kamen näher. Wenn er Glück hatte, konnte er es bis Mittag schaffen. Lief er nicht rasch genug, holten ihn die Hunde ein, lief er zu schnell, drohte ihm Erschöpfung. Er verdrängte solche Gedanken und hörte nur noch auf den Rhythmus seines Atems.
»Wie lange bist du schon hier, Riba?«
Zunächst schien es so, als habe sie Henri gar nicht gehört, dann schaute sie ihn angestrengt an.
»Seit fünf Jahren.«
Die beiden Jungen sahen sich erstaunt an.
»Aber warum bist du hier?«, wollte Kleist wissen.
»Man hat uns hierhergebracht, um uns auf den Brautstand vorzubereiten«, sagte sie. »Doch das war gelogen. Der Mönch tötete Lena und hätte das Gleiche auch mit mir getan. Warum?« Das war eine verstörende Frage. »Warum tut jemand so etwas?«
»Das wissen wir nicht«, erwiderte Kleist. »Wir wissen gar nichts über dich, nicht einmal, dass du überhaupt da warst.«
»Fang mit dem Anfang an«, ermutigte sie Vague Henri. »Erzähl uns, woher du kommst und was dich hierhergebracht hat.«
»Lass dir Zeit«, sagte Kleist. »Wir haben viel Zeit.«
»Er kommt doch wieder, der andere, oder?«
»Er heißt Cale.«
»Er kommt doch wieder?«
»Ja, er kommt zu uns zurück«, bestätigte Henri. »Aber das kann lange dauern.«
»Ich will aber nicht hier warten«, empörte sie sich. »Hier ist es kalt, finster und schrecklich. Nein, ich will nicht!«
»Sei doch leise.«
»Lasst mich sofort raus oder ich schreie.«
Kleist wusste nicht, wie man mit einem Angehörigen des anderen Geschlechts umging, mehr noch, er hatte keine Ahnung, wie mit einem Menschen umzugehen war, der sich so von seinen Gefühlen fortreißen ließ. Offen seinen Ärger zeigen hätte für einen Zögling bedeutet, Ginky’s Field einen Besuch abzustatten und in einer drei Fuß tiefen Grube zu landen. Kleist hob den Arm, um sie zum Schweigen zu bringen, doch Henri hielt ihn zurück.
»Du musst leise sein«, mahnte er Riba. »Cale kommt wieder, und dann bringen wir dich an einen sicheren Ort. Aber wenn sie uns hören, dann ist es um uns geschehen. Also sei vernünftig.«
Sie starrte ihn an, als ob die Stimme eines Wahnsinnigen ihr ins Ohr flüsterte. Doch schließlich nickte sie zum Zeichen der Zustimmung.
»Erzähl uns, woher du stammst und alles, was du weißt, weshalb du hier bist.«
»Als ich zehn Jahre alt war, kaufte mich Mutter Teresa auf dem Sklavenmarkt in Memphis. Mit mir zusammen kaufte sie auch Lena.«
»Du bist eine Sklavin?«, fragte Kleist.
»Nein«, widersprach das Mädchen, beschämt und empört zugleich. »Mutter Teresa sagte uns, wir seien frei und könnten gehen, wenn es uns nicht gefällt.«
Kleist lachte auf. »Warum habt ihr es nicht getan?«
»Weil sie lieb zu uns war, uns beschenkte und verhätschelte wie Schmusekätzchen. Wir bekamen herrliches Essen und kostbare Kleider, und außerdem lehrte sie uns, wie wir uns als Bräute zu benehmen hatten. Es hieß, wenn wir heiratsfähig wären, würden wir einen reichen Ritter in einer glänzenden Rüstung bekommen. Der würde uns lieben und unser ganzes Leben für uns sorgen.« Sie hatte so rasch gesprochen, dass sie ganz atemlos war, so als ob ihre Erzählung die Wirklichkeit und der Schrecken des vergangenen Tages nur ein Traum wäre. Ihre Atempause kam gerade richtig, denn den Jungen kam alles recht ungereimt vor.
Vague Henri wandte sich an Kleist. »Das verstehe ich nicht. Unser Glaube verbietet es doch, sich Sklaven zu halten.«
»Das ergibt doch alles keinen Sinn. Warum sollten die Mönche ein Mädchen kaufen und es hätscheln, nur um es am Ende wie ein Stück Vieh...«
»Sei still!« Vague Henri schaute zu Riba hinüber, doch sie schien in ihrer eigenen Welt verloren. Kleist stieß ärgerlich den Atem aus. Vague Henri nahm ihn beiseite und sagte leise zu ihm: »Versetz dich mal
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