Die Liste
Schüsseln.
»Ist noch jemand eingeladen?«, fragte ich.
»Nein, wir sind zu zweit. Möglicherweise kommt Esau später.«
»Das würde für eine ganze Armee reichen.« Ich atmete tief die anregenden Düfte ein, und mein Magen schmerzte vor Vorfreude.
»Lassen Sie uns essen, sonst wird alles kalt.«
Ich beherrschte mich, ging langsam zum Tisch hinüber und zog für meine Gastgeberin einen Stuhl zurück. Sie war hocherfreut und sagte, ich sei ein echter Gentleman.
Als ich ihr gegenübersaß, hätte ich fast die Deckel von den Schüsseln gerissen und zugelangt, aber sie ergriff meine Hände, neigte den Kopf und begann zu beten.
Es sollte ein langes Gebet werden. Sie dankte dem Herrn für alles Gute, wobei sie auch mich einschloss, ihren
»neuen Freund«. Sie betete für die Kranken und 87
diejenigen, denen vielleicht eine Krankheit bevorstand, um Regen und Sonne, um die Gabe, demütig und geduldig leben zu können. Allmählich begann ich mir Sorgen zu machen, das Essen könnte kalt werden, aber ich war fasziniert von ihrer Stimme. Sie sprach langsam, jedes Wort war sorgfältig bedacht. Ihre Aussprache war vollkommen. Kein Konsonant wurde verschluckt, jedes Komma und jedes Satzende respektiert. Ich musste mich vergewissern, dass ich nicht träumte. Noch nie zuvor hatte ich einen schwarzen Menschen aus dem Süden so reden gehört. Einen weißen allerdings auch nicht.
Ich blickte sie an. Sie sprach zu ihrem Herrn, und ihr Gesichtsausdruck spiegelte vollkommene Zufriedenheit.
Für ein paar Sekunden vergaß ich das Essen. Sie drückte meine Hände, während sie den Allmächtigen mit einer Beredsamkeit anflehte, für die es jahrelanger Übung bedurfte. Sie zitierte aus der Heiligen Schrift, natürlich nach der King-James-Bibel, und es war etwas seltsam, diese altertümlichen und nicht mehr gebräuchlichen Wörter und Ehrfurchtsformeln zu hören. Noch nie hatte ich mich Gott so nahe gefühlt wie in der Gesellschaft dieser gläubigen Frau.
Ich konnte mir nicht vorstellen, wie man ein so langes Gebet an einem Tisch mit acht Kindern sprechen konnte, aber irgendetwas sagte mir, dass Calia Ruffins Stimme alle zum Verstummen gebracht hatte.
Sie beendete das Gebet mit einem langen, schwungvollen Finale, in dem sie um Vergebung für ihre Sünden bat – das konnten nicht viele sein –, aber auch für meine. Nun, sie wusste nichts über mich.
Dann ließ sie meine Hände los und begann die Deckel von den Schüsseln zu nehmen. Die erste enthielt jede Menge Schweinekoteletts in einer Sauce, die neben vielen anderen Zutaten Zwiebeln und Paprikaschoten enthielt.
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Noch mehr aromatischer Dampf stieg mir in die Nase, und ich hätte am liebsten mit den Fingern gegessen. In der zweiten Schüssel befand sich ein Berg Mais mit grünem Paprika, der noch immer so heiß war, als wäre er gerade vom Herd genommen worden. Es gab gekochte Okra-Schoten, die sie, wie sie beim Servieren erklärte, nicht briet, weil sie auf fettarme Kost achtete. In jungen Jahren hatte man ihr beigebracht, schlechthin alles zu frittieren oder zu braten, von Tomaten bis hin zu Gurken, aber sie hatte nach und nach begriffen, dass das nicht besonders gesund war. Es gab Limabohnen, ebenfalls gekocht, mit Speck und Schinken. Auf einer Servierplatte waren kleine rote Tomaten mit Pfeffer und Olivenöl angerichtet. Nach ihren eigenen Worten gehörte sie zu den wenigen in der Stadt, die Olivenöl verwendeten. Während sie meinen Teller füllte, hörte ich gebannt zu. Ein in Milwaukee lebender Sohn schicke ihr das Olivenöl, weil man in Clanton noch nichts davon gehört habe.
Sie entschuldigte sich dafür, dass die Tomaten aus dem Laden kämen; ihre eigenen seien erst im Sommer reif. Der Mais, die Okra-Schoten und die Limabohnen stammten aus ihrem Garten, und sie hatte sie im letzten August eingemacht. Das einzige wirklich »frische« Gemüse war der Grünkohl.
In der Mitte des Tischs stand eine große schwarze Bratpfanne, und als sie das Tuch darauf zur Seite zog, sah ich ein mindestens zwei Kilogramm schweres, warmes Maisbrot. Sie legte ein großes Stück auf meinen Teller.
»Bitte sehr. Das sollte fürs Erste reichen.« Noch nie hatte ich einen so vollen Teller vor mir stehen gehabt. Der Festschmaus begann.
Ich versuchte, langsam zu essen, aber es war unmöglich.
Ich war mit leerem Magen eingetroffen, doch die miteinander wetteifernden Düfte, der schön gedeckte 89
Tisch, das lange Gebet und die liebevolle Beschreibung jeder einzelnen Speise hatten
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