Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Liste

Die Liste

Titel: Die Liste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
Vom Netzwerk:
Niemand hier legt sich mit diesen Schwarzen an.
    Auch das war schon immer so.«
    95

    »Glauben die Leute auf dieser Seite der Bahnlinie, dass Danny Padgitt das Opfer vergewaltigt und ermordet hat?«
    »Die Leser Ihrer Zeitung mit Sicherheit.«
    Der Stich ging tiefer, als sie je erfahren sollte. »Wir berichten nur Tatsachen«, verteidigte ich mich selbstgefällig.
    »Der Kerl wurde eingelocht, angeklagt und wartet jetzt im Gefängnis auf seinen Prozess.«
    »Gibt es nicht so etwas wie die Unschuldsvermutung?«
    Wieder zuckte ich innerlich zusammen. »Natürlich.«
    »Finden Sie, dass es fair war, ihn in Ihrer Zeitung mit Handschellen und in dem blutverschmierten Hemd vorzuführen?« Ihr Sinn für Fairness konsternierte mich.
    Warum sollte sie oder irgendein anderer Schwarzer in Ford County sich darum scheren, ob Danny Padgitt fair behandelt wurde? Nur wenige Menschen hatte es je beunruhigt, ob schwarze Angeklagte von der Presse oder der Polizei anständig behandelt wurden.
    »Er kam bereits so im Gefängnis an. Nicht wir haben ihm das Blut aufs Hemd gespritzt.« Weder ihr noch mir gefiel diese kleine Diskussion. Ich trank einen Schluck Tee und hatte Schwierigkeiten beim Schlucken. Ich war bis oben voll gestopft.
    Sie bedachte mich mit einem wissenden Lächeln, brachte es aber trotzdem fertig, mir freundlich ein Dessert anzubieten. »Ich habe Bananenpudding gekocht.«
    Ich konnte nicht ablehnen, würde aber auf der anderen Seite keinen Bissen mehr hinunterbringen. Wir mussten einen Kompromiss finden. »Lassen Sie uns ein bisschen warten, damit sich das Essen setzen kann.«
    »Dann trinken Sie wenigstens noch etwas Tee.« Sie schenkte bereits nach. Ich konnte kaum atmen, deshalb machte ich es mir so bequem wie möglich und beschloss, 96

    mich wie ein echter Journalist zu benehmen. Miss Callie, die deutlich weniger gegessen hatte als ich, beendete gerade ein Okra-Häppchen.
    Laut Baggy war Sam Ruffin der erste schwarze Schüler gewesen, der eine der weißen Schulen von Clanton besucht hatte. Bei seinem Eintritt 1964 war er zwölf und besuchte die siebte Klasse. Das wäre für jeden eine schwierige Erfahrung gewesen, doch für ihn war sie besonders schlimm. Baggy hatte mich gewarnt, dass Miss Callie sich unter Umständen weigern würde, über ihr jüngstes Kind zu reden. Sam wurde mit Haftbefehl gesucht und war aus der Gegend verschwunden.
    Zuerst zögerte sie. Schon 1963 hatten Gerichte entschieden, einem schwarzen Schüler dürfe der Zugang zu einer weißen Schule nicht verweigert werden. Doch die zwangsweise Aufnahme von Schwarzen sollte noch jahrelang auf sich warten lassen. Sam war Miss Callies jüngstes Kind, und als sie mit ihrem Mann die Entscheidung gefällt hatte, ihn auf eine weiße Schule zu schicken, hatten sie gehofft, dass andere schwarze Familien ihrem Beispiel folgen würden. Das geschah nicht, und so war Sam zwei Jahre lang der einzige schwarze Schüler auf der Clanton-Junior-Highschool, wo er gedemütigt und verprügelt wurde. Aber er lernte schnell, seine Fäuste ebenfalls einzusetzen, und wurde schließlich in Ruhe gelassen. Er flehte seine Eltern an, ihn wieder auf die schwarze Schule zu schicken, doch sie blieben hart, selbst nach seinem Wechsel auf die Senior-Highschool. Sie dachten, sicher würde es bald besser. Im ganzen Süden tobte der Kampf um die Aufhebung der Rassentrennung, und den Schwarzen wurde permanent versprochen, dass das Urteil des Obersten Gerichtshofs im Fall Brown gegen die Schulbehörde, in dem die Rassentrennung für gesetzwidrig erklärt worden war, auch 97

    in die Praxis umgesetzt werde.
    »Kaum zu glauben, dass wir mittlerweile das Jahr 1970
    schreiben und die Rassentrennung in den hiesigen Schulen immer noch nicht aufgehoben ist«, sagte Miss Callie.
    Entscheidungen von Bundes- und Berufungsgerichten hatten im ganzen Süden den Widerstand der Weißen geschwächt, aber es war nur zu typisch, dass Mississippi bis zum bitteren Ende kämpfte. Die meisten meiner weißen Bekannten in Clanton waren davon überzeugt, dass sich die Gleichberechtigung an den Schulen hier nie durchsetzen würde. Doch ich, der ich aus Memphis und damit aus dem Norden kam, verschloss die Augen nicht vor dem Offensichtlichen.
    »Bedauern Sie es, Sam auf eine weiße Schule geschickt zu haben?«
    »Ja und nein. Irgendjemand musste den Mut aufbringen.
    Es war eine schmerzliche Erfahrung, ihn so unglücklich zu sehen, aber wir mussten unseren Standpunkt vertreten und durften nicht

Weitere Kostenlose Bücher