Die Liste
dazu geführt, dass ich mich dem Verhungern nahe glaubte. Ich langte kräftig zu, und meine Gastgeberin schien nichts dagegen zu haben, den Alleinunterhalter zu spielen.
Der größte Teil des Essens stammte aus ihrem Garten, den sie mit Esau bewirtschaftete und in dem sie alles Mögliche anpflanzte: vier verschiedene Tomatenarten, Limabohnen, grüne Bohnen, Schwarze-Augen-Bohnen, Kuhbohnen, Erbsen, Gurken, Auberginen, Kürbisse, Grünkohl, Senfkohl, Rüben, süße Zwiebeln, gelbe Zwiebeln, grüne Zwiebeln, Kohl, Okra-Schoten, rote Kartoffeln, Russet-Burbank-Kartoffeln, Karotten, Rote Beete, Mais, grünen Paprika, Kantalup- und zwei verschiedene Sorten Wassermelonen – und noch ein paar andere Dinge, die ihr im Augenblick nicht einfielen. Die Schweinekoteletts wurden von ihrem Bruder beigesteuert, der noch im alten Haus der Familie auf dem Land lebte.
Jeden Winter schlachtete er für sie zwei Schweine, und die Ruffins füllten ihre Tiefkühltruhe. Im Gegenzug versorgten sie den Bruder mit frischem Gemüse.
»Wir benutzen keinen Kunstdünger«, sagte sie, während ich gierig mein Essen hinunterschlang. »Alles stammt aus organischem Anbau.«
Und so schmeckte es auch.
»Aber es sind alles Überbleibsel vom letzten Jahr. Im Sommer schmeckt es besser, wenn wir ernten und alles ein paar Stunden später essen. Werden Sie dann wiederkommen, Mr Traynor?«
Ich grunzte und nickte und schaffte es irgendwie, ihr zu verstehen zu geben, ich käme jederzeit wieder, wenn es ihr recht sei.
»Möchten Sie meinen Garten sehen?«
90
Ich nickte erneut, mit bis zum Bersten gefüllten Backen.
»Gut. Er ist hinter dem Haus. Ich werde Ihnen etwas Kopfsalat und anderes Grünzeug mitgeben. Sie können es bestimmt brauchen.«
»Wundervoll.«
»Ein allein stehender Mann wie Sie benötigt, vermute ich, jede nur erdenkliche Hilfe.«
»Woher wissen Sie, dass ich allein lebe?« Ich trank einen großen Schluck Tee. Man hätte ihn als Dessert servieren können, so süß war er.
»Die Leute reden über Sie. In einer Stadt wie Clanton gibt es nicht allzu viele Geheimnisse, und das gilt für beide Seiten der Eisenbahnlinie.«
»Was haben Sie noch gehört?«
»Mal sehen. Sie haben eine Wohnung von den Hocutts gemietet. Und Sie kommen aus dem Norden.«
»Aus Memphis.«
»Von so weit her?«
»Ist nur eine Autostunde.«
»War nur ein Scherz. Eine meiner Töchter hat dort das College besucht.«
Was ihre Kinder anging, hatte ich etliche Fragen, aber ich war noch nicht so weit, mir Notizen machen zu können. Irgendwann nannte ich sie statt Mrs Ruffin Miss Calia.
»Callie«, sagte sie. »Miss Callie ist in Ordnung.« Eine meiner ersten neuen Angewohnheiten in Clanton hatte darin bestanden, die Damen unabhängig von ihrem Alter mit »Miss« anzureden. Miss Brown oder Miss Webster sagte ich zu neuen Bekannten, die schon ein paar Jährchen auf dem Buckel hatten, Miss Martha oder Miss Sara, wenn ich mich an jüngere Frauen wandte. Das galt als Beweis 91
für galantes Benehmen und eine gute Erziehung, und da ich beides nicht vorweisen konnte, war es wichtig, dass ich mich den örtlichen Umgangsformen so gut wie möglich anpasste.
»Aus welcher Sprache kommt Calia?«
»Aus dem Italienischen«, antwortete sie, als würde das alles erklären. Sie aß ein paar Limabohnen, während ich mein Kotelett mit dem Messer bearbeitete.
»Aus dem Italienischen?«
»Ja. Das war meine erste Sprache, doch das ist eine lange Geschichte. Eine von vielen. Hat man wirklich versucht, das Gebäude Ihrer Zeitung abzubrennen?«
»Ja, hat man.« Ich fragte mich, ob diese schwarze Lady aus dem ländlichen Mississippi gerade tatsächlich gesagt hatte, ihre Muttersprache sei Italienisch.
»Und Mr Meek zusammengeschlagen?«
»Auch das.«
»Wer war es?«
»Wissen wir noch nicht. Sheriff Coley untersucht den Fall.« Ich war neugierig auf ihre Einschätzung unseres Sheriffs. Während ich wartete, nahm ich mir ein weiteres Stück Maisbrot. Bald tropfte Butter von meinem Kinn.
»Er ist schon sehr lange Sheriff, oder?«, sagte sie.
Ich war mir sicher, dass sie das Jahr genau im Kopf hatte, in dem sich Mackey Don Coley sein Amt zum ersten Mal gekauft hatte. »Wie denken Sie über ihn?«, fragte ich.
Sie trank einen Schluck Tee und überlegte. Miss Callie gehörte nicht zu den Leuten, die überstürzt antworteten, besonders dann nicht, wenn sie über andere redete. »Auf dieser Seite der Schienen ist man ein guter Sheriff, wenn man die Glücksspieler, Schwarzbrenner
Weitere Kostenlose Bücher