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Die Liste

Die Liste

Titel: Die Liste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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drosch.
    Bald war klar, dass Richter Loopus an einem sicheren und unparteiischen Verfahren gelegen war. Vor seinem Aufstieg ins Richteramt in den Fünfzigerjahren war er Bezirksstaatsanwalt und für eine harte Linie bekannt gewesen. Wegen der Padgitts und ihrer üblichen Bestechungsversuche schien er sich keine Sorgen zu machen. Auf dem Papier – besonders auf dem der Times –
    schien der Fall Danny Padgitt wasserdicht zu sein.
    Am Montag, dem 15. Juni, verschickte der Geschäftsleiter des Bezirksgerichts hundert Vorladungen an potenzielle Geschworene, die aus den registrierten Wählern im ganzen County rekrutiert wurden. Eine davon landete in dem ohnehin selten leeren Briefkasten von Miss Callie Ruffin. Sie zeigte sie mir, als ich am Donnerstag zum Mittagessen kam.

    1970 waren sechsundzwanzig Prozent der Bevölkerung von Ford County Schwarze, vierundsiebzig Prozent 154

    Weiße. Eine Kategorie für »Sonstige« oder diejenigen, die sich nicht entscheiden konnten, gab es nicht. Sechs Jahre nach dem turbulenten Sommer von 1964, in dem massiv für die Eintragung Schwarzer ins Wahlregister geworben worden war, und fünf Jahre nach dem Voting Right Act von 1965 machten sich in Ford County noch immer nur wenige Schwarze die Mühe, sich auf die Wählerlisten setzen zu lassen. Bei den landesweiten Wahlen 1967
    hatten fast siebzig Prozent der wahlberechtigten Weißen ihre Stimme abgegeben, aber nur zwölf Prozent der Schwarzen. Registrierungskampagnen in Lowtown stießen auf allgemeine Gleichgültigkeit. Ein Grund für die Apathie bestand darin, dass angesichts der weißen Vorherrschaft in dem County ohnehin kein Schwarzer ein politisches Amt erlangen konnte. Wozu also die Mühe?
    Ein anderer Grund waren die Tricks, mit denen Weiße seit hundert Jahren versuchten, Schwarzen eine Registrierung zu erschweren. Wahlsteuern, Lesetests – die Liste war lang und beschämend.
    Eine weitere Ursache war, dass viele Schwarze sich nicht gern von weißen Behörden registrieren ließen, für welchen Zweck auch immer. Sie fürchteten mehr Steuern, mehr Kontrolle, mehr Überwachung, mehr Einmischung.
    Die Registrierung konnte auch bedeuten, dass man in eine Jury berufen wurde.
    Laut Harry Rex, der in solchen Dingen eine etwas verlässlichere Quelle war als Baggy, hatte es in Ford County noch nie einen schwarzen Geschworenen gegeben.
    Da bei der Auswahl immer ausschließlich auf Wählerlisten zurückgegriffen wurde, tauchten auf den ersten Listen der Jurykandidaten in der Regel nur wenige Schwarze auf, und falls sie die ersten Befragungsrunden überstanden, wurden sie routinemäßig aussortiert, bevor die zwölf Geschworenen bestimmt wurden. Bei Strafver-155

    fahren wurden sie von der Anklage unter dem Vorwand abgelehnt, sie verhielten sich gegenüber den Beklagten zu wohlwollend, bei Zivilverfahren durch die Verteidigung, weil man Angst hatte, dass sie mit dem Geld anderer zu spendabel umgingen.
    Doch diese Theorien waren in Ford County noch nie in der Praxis getestet worden.

    Callie und Esau Ruffin hatten sich im Jahr 1951 als Wähler registrieren lassen. Sie hatten gemeinsam das Büro des Geschäftsleiters im Bezirksgericht aufgesucht und um Aufnahme in die Wählerliste gebeten. Die Sekretärin des Geschäftsleiters tat, was man von ihr erwartete, und reichte den Ruffins ein in Plastikfolie eingeschweißtes, mit
    »Unabhängigkeitserklärung« überschriebenes Blatt Papier.
    Der übrige Text war auf Deutsch.
    »Können Sie das lesen?«, fragte die Sekretärin in der Annahme, Mr und Mrs Ruffin wären Analphabeten, wie die meisten Schwarzen in Ford County.
    »Das ist kein Englisch, sondern Deutsch«, antwortete Miss Callie.
    »Können Sie es lesen?«, wiederholte die Sekretärin, die zu begreifen begann, dass ihr bei diesem Paar einiges bevorstand.
    »Ich kann es so gut lesen wie Sie«, erwiderte Miss Callie höflich.
    Die Sekretärin nahm das Blatt an sich und reichte Miss Callie ein anderes. »Können Sie das lesen?«
    »Ja, das sind die zehn Verfassungszusätze«, sagte Callie.
    »Was steht im achten Zusatzartikel?«
    »Er verbietet überzogene Bußgelder und unangemessen harte Strafen«, erwiderte Callie, nachdem sie den Text 156

    gelesen hatte.
    Ungefähr zu diesem Zeitpunkt – je nachdem, wessen Version man folgen wollte – beugte Esau sich zu der Sekretärin vor. »Wir sind Grundstückseigentümer«, sagte er, während er die Übertragungsurkunde auf den Schreibtisch legte. Die Sekretärin studierte sie

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