Die Liste
den zweiten Teil des Artikels über Miss Callie und ihre Familie. Unten auf der Titelseite platzierte ich aktuelle Fotos der sieben Professoren. In meinem Text berichtete ich darüber, wo und wie sie jetzt lebten. Obwohl keiner von ihnen vorhatte, wieder in die Heimat zu ziehen, verliehen alle ihrer großen Zuneigung zu Clanton und Mississippi Ausdruck. Sie wollten nicht über ihre Heimat richten, wo man sie genötigt hatte, schlechte Schulen zu 151
besuchen und auf der anderen Seite der Schienen zu hausen, wo man sie an der Ausübung ihres Wahlrechts gehindert hatte, wo ihnen der Besuch der meisten Restaurants genau so untersagt gewesen war, wie Wasser aus dem Brunnen auf dem Rasen vor dem Gerichtsgebäude zu trinken. Keiner von ihnen verwies auf negative Erinnerungen. Stattdessen dankten sie Gott für seine Güte, für ihre Gesundheit, ihre Familie, ihre Eltern und die Chancen, die sich ihnen trotz allem geboten hatten.
Ich bewunderte ihre Bescheidenheit und Güte. Alle sieben versprachen, dass wir einander während der Weihnachtszeit auf der Veranda ihrer Mutter kennen lernen und uns bei einem Stück Nusskuchen unterhalten würden.
Ich schloss mein langes Familienporträt mit einem interessanten Detail. Jedes Kind der Ruffins war an dem Tag, als es das Elternhaus verließ, von Esau aufgefordert worden, der Mutter mindestens einmal pro Woche zu schreiben. Sie taten es, und die Kette der Briefe riss nie ab.
Irgendwann beschloss Esau, dass Callie jeden Tag einen Brief erhalten sollte. Sieben Kinder, sieben Wochentage.
Alberto schrieb sonntags, Leonardo montags und so weiter. An manchen Tagen erhielt Callie zwei oder drei Briefe, an manchen keinen, aber der kurze Gang zum Briefkasten war immer spannend.
Sie bewahrte alle Briefe in einem Schrank im Schlafzimmer auf. Einmal zeigte sie mir einen Stapel von Kartons, in denen Hunderte Briefe ihrer Kinder lagen.
»Irgendwann dürfen Sie sie lesen«, versprach sie, doch aus irgendeinem Grund glaubte ich ihr nicht. Aber ich wollte die Briefe auch gar nicht lesen, weil sie vermutlich viel zu persönlich waren.
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ezirksstaatsanwalt Ernie Gaddis: reichte einen Antrag ein, durch den er die Anzahl der zunächst B
vorzuladenden Geschworenen zu erhöhen suchte. Laut Baggy, der in diesen Dingen von Tag zu Tag mehr zum Experten wurde, schickte der Leiter der Geschäftsstelle des Bezirksgerichts bei einem typischen Strafverfahren etwa vierzig potenziellen Geschworenen eine Vorladung.
Davon würden etwa fünfunddreißig erscheinen, von denen mindestens fünf wegen Krankheit oder zu hohem Alter als ungeeignet aussortiert werden würden. In seinem Antrag argumentierte Gaddis, die Tatsache, dass mittlerweile jeder über den Mord an Rhoda Kassellaw Bescheid wisse, mache es schwerer, unvoreingenommene Geschworene zu finden. Er bat das Gericht, mindestens hundert Kandidaten vorzuladen.
Obwohl Gaddis das natürlich nicht geschrieben hatte, war der Sinn seines Antrags allen klar. Die Padgitts würden sehr viel mehr Probleme haben, hundert potenzielle Geschworene einzuschüchtern als vierzig. Wilbanks legte energisch Widerspruch ein und verlangte eine Anhörung.
Richter Loopus hielt das für überflüssig und ordnete eine Erweiterung der Liste der Jurykandidaten an. Außerdem ließ er – eine ungewöhnliche Maßnahme – die Liste versiegeln. Baggy und seine Trinkkumpane, aber auch alle anderen im Gerichtsgebäude waren perplex. So etwas hatte es noch nie gegeben. Normalerweise erhielten Anwälte und prozessführende Parteien zwei Wochen vor dem Verfahren eine komplette Liste.
Der Gerichtsbeschluss wurde allgemein als schwerer Rückschlag für die Padgitts interpretiert. Wenn sie nicht 153
wussten, wer auf der Liste stand, wie konnten sie dann die voraussichtlichen Geschworenen bestechen oder einschüchtern?
Gaddis bat das Gericht, die Vorladungen nicht persönlich durch das Büro des Sheriffs zustellen zu lassen, sondern mit der Post zu verschicken. Auch diese Idee stieß bei Loopus auf Sympathie. Offensichtlich wusste er bestens über die guten Beziehungen zwischen den Padgitts und unserem Sheriff Bescheid. Es war nicht überraschend, dass dieser Plan Lucien Wilbanks einen Aufschrei entlockte. Er war ziemlich außer sich und argumentierte, Richter Loopus behandle seinen Mandanten anders als andere Angeklagte und unfair. Als ich die von ihm einge-reichten Schriftsätze las, war ich überrascht, dass er über viele Seiten für jeden erkennbar lediglich Phrasen
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