Die Liste
Jahr 1895
traf die erste Schiffsladung von Familien im Mississippi-Delta ein. Sie stammten aus der norditalienischen Region Emilia-Romagna, aus der Nähe von Verona. Die meisten 159
hatten eine schlechte Schulbildung und beherrschten allenfalls ein paar Brocken Englisch, aber welche Sprache auch gesprochen wurde, sie begriffen schnell, dass sie die Leidtragenden eines riesigen Betrugs waren. Man gab ihnen miserable Unterkünfte in einer Gegend mit subtropi-schem Klima, und während sie mit Malaria, Stechmücken, Schlangen und gesundheitsgefährdendem Trinkwasser kämpften, mussten sie auf den Baumwollfeldern schuften
– für Löhne, von denen niemand leben konnte. Man zwang sie, für Wucherzinsen von den Landeigentümern Geld zu leihen. Ihre Lebensmittel und die übrigen Artikel für den täglichen Bedarf stammten aus den Läden der Plantagenbesitzer, und die Preise waren hoch.
Die Italiener arbeiteten hart, und deshalb wollten die Landbesitzer Nachschub. Sie machten weiteren italienischen Arbeitsvermittlern falsche Versprechungen, und der Strom der Einwanderer riss nicht ab. Es gab ein raffiniert ausgetüfteltes System der Leibeigenschaft, und die Italiener wurden schlechter behandelt als die meisten schwarzen Landarbeiter.
Im Laufe der Zeit wurden immer wieder einmal Versuche unternommen, die Profite und das Land gerechter zu verteilen, doch das scheiterte an den zu stark schwankenden Baumwollmärkten. Nach zwanzig Jahren Ausbeutung zerstreuten sich die Italiener in alle Richtungen, und das Experiment wurde zu einer Episode in der Geschichte des Staates.
Wer im Mississippi-Delta blieb, wurde jahrzehntelang als Bürger zweiter Klasse behandelt. Der Zugang zu Schulen wurde den Italienern verwehrt, und als Katholiken waren sie in den Kirchen nicht willkommen. Die Türen der Country-Klubs blieben ihnen verschlossen. Man nannte sie »Spaghettifresser«, und sie standen auf der untersten Sprosse der sozialen Leiter. Doch da sie hart 160
arbeiteten und sparsam waren, erwarben sie allmählich Landbesitz.
Im Jahr 1902 verschlug es die Familie Rossetti in die Umgebung von Leland in Mississippi. Die Rossettis stammten aus einem Ort in der Nähe von Bologna und hatten das Pech gehabt, dort an den falschen Arbeitsvermittler zu geraten. Mr und Mrs Rossetti kamen mit vier Töchtern, deren älteste, Nicola, damals zwölf war, nach Amerika. Obwohl sie während des ersten Jahres oft Hunger litten, schafften sie es irgendwie zu überleben. Sie waren ohne einen Penny angekommen und hatten nach drei Jahren Leibeigenschaft Schulden in Höhe von sechstausend Dollar angehäuft, ohne dass sie die Möglichkeit gehabt hätten, dem Plantagenbesitzer das Geld je zurückzuzahlen. Sie flohen mitten in der Nacht in einem Güterwagen nach Memphis, wo sie von einem entfernten Verwandten aufgenommen wurden …..
Mit fünfzehn war Nicola ein betörend schönes Mädchen.
Lange, dunkle Haare, braune Augen – die klassische italienische Schönheit. Da sie älter aussah, als sie war, gelang es ihr, einen Job in einem Bekleidungsgeschäft zu ergattern, dessen Eigentümer sie erzählt hatte, sie sei achtzehn. Nach drei Tagen machte ihr der Ladenbesitzer einen Heiratsantrag. Er war bereit, sich nach zwanzig Jahren Ehe von seiner Frau scheiden zu lassen und seine Kinder aufzugeben, wenn Nicola mit ihm gehen würde.
Sie lehnte ab. Er bot Mr Rossetti fünftausend Dollar, doch auch der sagte Nein.
In jenen Tagen pflegten wohlhabende Farmerfamilien aus Nordmississippi in Memphis einzukaufen, wo sie auch am gesellschaftlichen Leben teilnahmen. In der Regel spielte sich das alles in der Nähe des Peabody-Hotels ab, und dort stolperte Mr Zachary DeJarnette aus Clanton eines Tages durch puren Zufall über Nicola Rossetti. Zwei 161
Wochen später waren sie verheiratet.
Er war einunddreißig Jahre alt, kinderloser Witwer und auf der Suche nach einer neuen Frau. Außerdem hatte er den größten Landbesitz in Ford County, wo der Boden zwar nicht so fruchtbar war wie im Mississippi-Delta, aber immer noch genügend Profit abwarf, wenn man nur genug davon sein Eigen nannte. Mr DeJarnette hatte von seiner Familie mehr als viertausend Morgen geerbt. Sein Großvater war einst der Besitzer von Calia Harris Ruffins Großvater gewesen.
Von der Heirat profitierte auch die Familie Rossetti.
Nicola war für ihr Alter außergewöhnlich intelligent und wollte unbedingt ihre Familie beschützen, die so gelitten hatte. Jetzt witterte sie ihre Chance und nutzte sie.
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