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Die Liste

Die Liste

Titel: Die Liste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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eingehend.
    Grundstücksbesitz war keine Vorbedingung für das Wahlrecht, für Schwarze aber ein großer Pluspunkt.
    Die Angestellte wusste nicht recht, was sie tun sollte, deshalb sagte sie nur: »In Ordnung. Die Wahlsteuer beträgt zwei Dollar für jeden.« Esau reichte ihr das Geld, und damit waren die Ruffins in das Wählerverzeichnis aufgenommen, das bislang einunddreißig Schwarze enthielt, darunter keine Frau.
    Die Ruffins ließen keine Wahl aus. Miss Callie hatte sich immer gefragt, warum sich so wenige ihrer Freunde registrieren ließen und ihr Stimmrecht wahrnahmen, aber sie hatte zu viel mit ihren acht Kindern zu tun, um daran etwas ändern zu können. Da Ford County die Rassenunruhen erspart blieben, die den größten Teil von Mississippi erschütterten, gab es hier nie eine gut organisierte Kampagne, Schwarze zur Registrierung zu motivieren.

    Zunächst war ich mir nicht sicher, ob Miss Callie besorgt oder begeistert war. Möglicherweise würde die erste schwarze Wählerin jetzt auch die erste schwarze Geschworene werden. Sie war noch nie vor einer Herausforderung zurückgewichen, hatte aber ernste moralische Bedenken, über einen anderen Menschen zu richten. »›Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet‹«, zitierte sie Jesus mehr als nur einmal.
    »Aber wenn sich jeder an diesen Bibelvers halten würde, wäre unser gesamtes Rechtssystem zum Scheitern 157

    verurteilt«, gab ich zu bedenken.
    »Ich weiß nicht.« Miss Callie wandte den Blick ab. Noch nie hatte ich sie so nachdenklich erlebt.
    Wir aßen gebratenes Hühnchen mit Kartoffelpüree und Sauce. Esau hatte es nicht geschafft, zum Mittagessen nach Hause zu kommen.
    »Wie kann ich über einen Mann richten, von dem ich weiß, dass er schuldig ist?«, fragte sie.
    »Hören Sie sich doch erst einmal an, wie die Beweislage aussieht«, antwortete ich. »Sie haben ein aufgeschlossenes Wesen. Es wird Ihnen nicht schwer fallen.«
    »Sie wissen, dass er sie umgebracht hat. Selbst wenn Sie es nie direkt geschrieben haben, hat Ihre Zeitung keinerlei Zweifel daran gelassen.« Ihre brutale Aufrichtigkeit machte mir immer wieder zu schaffen.
    »Wir haben nur die Tatsachen wiedergegeben, Miss Callie. Wenn er aufgrund dieser Tatsachen schuldig erscheint, dann können wir nichts dafür.«
    An diesem Tag gab es viele und lange Gesprächspausen.
    Sie war tief in Gedanken versunken und aß nur wenig.
    »Was ist mit der Todesstrafe?«, fragte sie. »Werden sie ihn in die Gaskammer stecken?«
    »Ja. Es geht um vorsätzlichen Mord.«
    »Wer entscheidet, ob die Todesstrafe verhängt wird?«
    »Die Geschworenen.«
    »O mein Gott.«
    Danach konnte sie nichts mehr essen. Sie erzählte, ihr Blutdruck sei stark erhöht, seit sie die Vorladung in ihrem Briefkasten gefunden habe, und sie sei schon beim Arzt gewesen. Ich brachte sie zu dem Sofa im Wohnzimmer und holte ihr ein Glas Eiswasser. Sie bestand darauf, dass ich zu Ende aß, und ich war glücklich, das ungestört tun 158

    zu können. Später erholte sie sich wieder ein bisschen, und wir setzten uns in die Schaukelstühle auf der Veranda und sprachen über alles Mögliche, nur nicht über Danny Padgitt und das Verfahren.
    Schließlich landete ich einen Volltreffer, als ich sie nach den italienischen Einflüssen in ihrem Leben fragte. Bei unserem ersten gemeinsamen Essen hatte sie erzählt, Englisch habe sie erst nach dem Italienischen gelernt.
    Sieben ihrer acht Kinder hatten italienische Vornamen.
    Es wurde eine lange Geschichte, aber ich hatte ohnehin nichts Besonderes zu tun.

    Im letzten Jahrzehnt des neunzehnten Jahrhunderts stieg die Nachfrage nach Baumwolle weltweit, und der Preis schoss sprunghaft in die Höhe. Die Besitzer der großen, fruchtbaren Plantagen im Mississippi-Delta standen unter dem Druck, die Produktion steigern zu müssen, doch es herrschte ein Mangel an Arbeitskräften. Viele Schwarze, die diese Arbeit körperlich hätten leisten können, hatten das Land verlassen, in dem ihre Vorfahren als Sklaven geschuftet hatten, und im Norden nach besseren Jobs und einem besseren Leben gesucht. Die Zurückgebliebenen waren verständlicherweise nicht begeistert von der Aussicht, für extrem niedrige Löhne auf den Baumwollfeldern zu arbeiten.
    Die Landbesitzer verfielen auf die Idee, fleißige und ausdauernde Einwanderer aus Europa anzuwerben. Über Kontakte zu italienischen Arbeitsvermittlern aus New York und New Orleans wurden Versprechungen gemacht, Lügen verkauft und Verträge gefälscht, und im

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