Die Löwin von Aquitanien
paar von den Schuften, die unseren Herrn Jesus gekreuzigt haben«, eine Gewalttätigkeit ausbrach, die seit mehr als einem halben Jahrhundert in London nicht ihresgleichen gehabt hatte. Jeder haßte die Juden; es war so leicht, sie zu hassen und ihnen all die Unbill des Alltags anzulasten.
Sie hatten Christus gekreuzigt, man wußte, daß sie heimlich kleine Kinder schlachteten und Hostien schändeten, und außerdem waren sie allesamt Wucherer, die einem ehrlichen Christen das letzte Hemd abknöpften, wenn sie es konnten. Das war es, was man sich überall erzählte, was jeder bereitwillig glaubte; aber niemand beachtete, daß der Geldverleiher fast der einzige Beruf war, der für Juden nicht verboten war. Die ganze Nacht, während die ebenfalls angetrunkene Stadtwache und die von Richard hastig geschickten Soldaten, die kaum in einem besseren Zustand waren, vergeblich versuchten, die Lage wieder unter ihre Kontrolle zu bekommen, ließ sich die Londoner Bevölkerung zu Plünderungen und Morden hinreißen. Nur eine kleine Gruppe Juden, der es gelang, sich bis in den Palast des Erzbischofs durchzuschlagen, überlebte. Richard war außer sich vor Wut, denn die Juden standen, wie bei allen Königen von England, unter seinem persönlichen Schutz - nicht, weil sie besonders tolerant waren, sondern weil sie die Juden als nützliche Einnahmequelle für Steuern betrachteten. Die Krönung des Kreuzfahrerkönigs war mit Blut besiegelt.
Während Richard sich bemühte, landauf, landab Geld für seinen Kreuzzug aufzutreiben, kam die beruhigende Nachricht, daß immerhin schon ein christlicher Herrscher unterwegs war - Kaiser Friedrich I. von Hohenstaufen, der alte Gegner Herzog Heinrichs.
Im Dezember trafen sich die Könige von England und Frankreich in Nonancourt, um Vorkehrungen für die Zeit ihrer Abwesenheit zu treffen. Jeder schwor, die Güter aller Kreuzfahrer zu schützen und dem anderen zu helfen, ihre Länder zu verteidigen, sollte es irgend jemand wagen, den Kreuzzug auszunutzen. Gleichzeitig schworen die englischen und französischen Barone, ihrer Pflicht als treue Vasallen Genüge zu leisten und keine Fehden untereinander anzufangen, solange ihre Herren außer Landes waren.
John und Ralph, einmal auf dem Festland, wurden von ihrem königlichen Bruder aufgefordert, einen Eid zu schwören, daß sie England für drei Jahre nicht mehr betreten würden, und es blieb ihnen wohl oder übel nichts anderes übrig, als einzuwilligen.
Allerdings gingen die Pläne von Richard und seiner Mutter noch weiter. »Wenn du jemand anderen als Alais heiratest, bevor ihr auf-brecht, ist Philippe imstande und zieht sich von dem Kreuzzug zurück«, sagte Alienor. »Aber wir können uns nicht darauf verlassen, daß John sich lange an seinen Eid halten wird, wenn er sich tatsächlich als den einzigen Erben sieht. Du mußt also heiraten, bevor ihr das Heilige Land erreicht.«
Richard zog eine Grimasse. »Und wie willst du das anstellen?«
Die Königin lächelte. »Warte es ab. Wenn es nicht vor dem Aufbruch geschehen kann und nicht nach der Ankunft geschehen darf, bleibt doch nur eine Möglichkeit übrig, oder? «
Am zweiten Juli 1190 vereinigten sich Richards und Philippes Streitkräfte bei Vezelay. Die beiden Könige schworen, alles, was während dieses Feldzuges an Land, Beute und Ruhm erobert würde, zu gleichen Teilen zwischen sich aufzuteilen. Zwei Tage später brach das riesige Heer, angeführt von dem altertümlichen Kreuzfahrerbanner, unter dem bereits Louis in den Orient gezogen war, auf. Der Dritte Kreuzzug hatte begonnen.
»Es ist ebenso angenehm wie überraschend«, sagte Sancho VI.
»Euch hier zu sehen, meine Königin. Ich dachte, Euer Sohn hätte Euch als Regentin eingesetzt?«
Alienor nahm dankend den Arm des Königs von Navarra, während er sie in die Halle geleitete, wo zu ihren Ehren ein kleines Fest stattfinden sollte. In zwei Jahren würde sie siebzig sein, doch trotz ihres Alters hatte ihr die Reise in die Pyrenäen Spaß gemacht.
»So ist es«, antwortete sie heiter, »und nach meiner Rückkehr werde ich diese Aufgabe auch wahrnehmen. Doch vorerst ist England mit William Longchamp als Kanzler in guten Händen, und ich habe Grund, an Euren Hof zu kommen.«
»Daran zweifle ich nicht«, meinte der König von Navarra.
Navarra grenzte an Aquitanien, und er war mit der Geschichte der Frau, die ihn besuchte, wohlvertraut. Sancho war sich bewußt, daß seine Edelleute, seine ganze Umgebung auf Aquitanien nur
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