Die Löwin von Aquitanien
spektakuläre Befreiung der Gefangenen, aber dafür um so wirksamer waren.
Eine der ersten dieser Reformen war die Anordnung eines einheitlichen Hohlmaßes für Korn und Flüssigkeit und einer einheitlichen Währung. Nur so würden sich in England ein blühender Handel und ein gesundes Handwerk entwickeln können. Die Jahre der Gefangenschaft, in denen sie den Beschwerden ihrer Wachen und Dienerinnen gelauscht hatte, trugen nun ihre Früchte. Ihr Einfühlungsvermögen in Rechts- und Verwaltungsprobleme war ungebrochen, und als Richard am dreizehnten August in Portsmouth landete, zeigte sich bereits die Wirkung von Alienors Zug durch das Land: Er wurde wie der zurückgekehrte König Artus begrüßt. Eines der Lieder, die man sang, lautete: »Das goldene Zeitalter kehrt zurück/ Die Welt erneuert sich/ Der Reiche nun niedergedrückt/ Der Arme erhöht.«
»Man kann sagen, was man will«, kommentierte der ebenfalls nach England zurückgekehrte Ralph, der sein Kanzleramt verloren hatte, säuerlich, »diese Frau versteht sich auf die Volksaufwiegelei.
Kein Gedanke mehr daran, daß Richard jahrelang mit seinem Vater im Krieg lag.«
Alienor hätte ihre Arbeit sehr viel mehr genossen, wenn nicht noch vor Richards Ankunft ihre Tochter Mathilda gestorben wäre.
Nun hatte sie schon die Hälfte ihrer Kinder überlebt.
Nach Mathildas Tod hatte sie in Westminster Alais wiedergesehen. Die französische Prinzessin war völlig in Schwarz gekleidet, um ihre geröteten Augen lagen tiefe Schatten. Sie blickte auf, als Alienor eintrat, und fragte trotzig: »Nun?« Alienor sagte nichts.
Alais erklärte leidenschaftlich: »Ich werde Richard nie heiraten!
Ich möchte nur noch Frieden haben, versteht Ihr, Frieden; ihr seid eine Familie von Wölfen, denen es Spaß macht, übereinander herzu-fallen!«
Alienor ging auf sie zu und umarmte sie. Alais brach zusammen und schluchzte, ihren Kopf an Alienors Schulter vergraben. »O Mutter, daß er so sterben mußte, so… so völlig allein… ich wäre doch bei ihm gewesen, wenn er mich nur mitgenommen hätte, doch er sagte, auf einem Feldzug wie diesem sei ich nur… nur eine gefährdete Last… und dann stirbt er, so…«
Alienor strich über Alais’ Haar. »Ich weiß, Lämmchen.«
Später fiel Alais ein, daß auch Mathilda in diesem Monat gestorben war, und sie brachte stockend ihre Beileidsbezeugungen vor. Sie hatte Mathilda kaum gekannt, doch sie wußte, daß Alienor ihre Tochter sehr geliebt hatte. Sie sprachen noch lange miteinander, und Alais stellte ihrer Ziehmutter all die Fragen, die sie jahrelang zurück-gehalten hatte.
»Haßt Ihr mich nicht?«
»Warum denn hassen, Kleines? Haß erschöpft sich, weißt du, und ich habe meinen Haß in den letzten Jahrzehnten für Henry gebraucht und für Rosamond, bis ich erkannte, daß sie viel mehr bemitleidenswert war. Ich könnte unmöglich eines von meinen eigenen Kindern hassen, und du bist eines davon.«
»Auch John nicht?«
»Auch John nicht.«
Alais biß sich auf die Lippe. »Warum mußtet Ihr ständig Krieg gegeneinander führen, Ihr und… War es nur wegen Rosamond und dann wegen Eurer Rebellion?«
Alienor sah sie an und sah doch an ihr vorbei. »Damals dachte ich, das wäre der Grund«, sagte sie mit fast unhörbarer Stimme, »aber ich glaube, im Grunde kannten er und ich uns einfach zu gut. Wir wußten zu genau, wie wir einander verletzen konnten… und wie du gesagt hast, Alais, wir sind eine Familie von Wölfen.«
Alais’ Schicksal mußte tatsächlich gelöst werden, doch es gab noch andere Schwierigkeiten zu klären. »Hast du dir schon überlegt, was du mit Ralph machst?« fragte Alienor ihren Sohn, als sie zusammen in Westminster saßen.
Richard strahlte Glück und Tatendrang aus und machte sich auch keine Mühe, es zu verbergen. Er küßte seine Mutter auf die Wange und sagte gutgelaunt: »Keine Sorge, ich bin auf eine vollkommene Lösung verfallen. William Marshall hat mir erzählt, daß… der König noch im Sterben wünschte, daß Ralph ein Bischofsamt erhält, also erfülle ich die Wünsche meines Vaters - und mache Ralph zum Erzbischof von York.«
Alienor lachte. »Hat er schon davon erfahren?«
»In der Tat, und er sträubt sich mit allen Mitteln. Aber die Wahl ist von den Kanonikern von York getroffen worden, und der päpstliche Legat hat sie mir auch bestätigt. Im September wird mein lieber Bruder dann im Eilverfahren zum Priester gemacht und in sein neues Amt eingeführt.«
Richard stand auf und holte
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