Die Löwin von Aquitanien
hatten ihre und Berengarias Pelze sorgsam wieder in den Truhen verstaut. Alienor trug ein türkisfarbenes Kleid aus leichtgewebtem Stoff, und sorglos löste sie jetzt das Kinnband, das ihre Haube festhielt. Seit ihrer Ankunft vor ein paar Tagen hatte Alienor darauf bestanden, die römischen Überreste in der Umgebung zu besichtigen und auf dem Markt ein-kaufen zu gehen.
Ihre zukünftige Schwiegertochter fragte nun schüchtern: »Seid Ihr niemals müde, Euer Gnaden? Wollt Ihr Euch nicht ausruhen?«
»Mein liebes Kind«, antwortete Alienor erhaben, »ich habe sechzehn Jahre Zeit gehabt, um mich auszuruhen. Das genügt für den Rest meines Lebens.«
Sie breitete ihre immer noch vollen, aber nun vollständig weißen Haare aus und genoß das Gefühl der sanften Brise um ihren Kopf.
Sie ging zu dem Fenster, von dem aus man den Vesuv sah, und atmete die süße italienische Luft voller Orangenblüten tief ein.
Die Zikaden zirpten, und die Prinzessin von Navarra versank in Träumereien. In ihrem ganzen Leben hatte sie noch nie etwas so Aufregendes mitgemacht wie die Reise mit Alienor von Aquitanien, den Zug durch die Alpen, die sie beim Mont-Genevre-Paß überquert hatten… und am Ende erwartete sie eine Heirat. Sie hatte noch wenig mehr Vorstellung von der Liebe als Lautenspiel und einen Kuß und kam nicht auf die Idee, sie könne ihren Bräutigam anders als anziehend finden. Er war noch jung, war ein großer und mächtiger König und außerdem der Anführer des heiligen Pilgerheeres. Was konnte sie mehr verlangen?
Es klopfte, und Berengaria schrak aus ihren Gedanken auf. Während Alienor sich bedauernd daranmachte, sich die Haare wieder festzustecken, eilte sie zu der Tür aus hellem Holz. Eine Kammerfrau trat ein und meldete den Grafen von Flandern an, der Alienor und Berengaria auf ihrer Reise zu Richard begleitete.
»Euer Gnaden«, begann der Graf ohne Umschweife, »die Galeeren, die Euer Sohn auf Eure Botschaft hin geschickt hat, sind angekommen…«
»Aber?« fragte Alienor knapp. »Aber der König von Sizilien verweigert Euch die Erlaubnis, Euch einzuschiffen. Mir gestattet er es.
Euer Gnaden, ich verstehe das nicht, und…«
Neapel gehörte zu König Tankreds Reich. »Hat er irgendeinen Grund nennen lassen?« unterbrach Alienor den Grafen. Seine Miene war verwirrt. »Ja, er ließ sagen, Messina sei ohnehin schon überfüllt, und Ihr solltet Euch statt dessen lieber nach Brindisi begeben.«
Berengerias Miene war noch betroffener als die des Grafen. Ihre großen dunklen Augen weiteten sich, und sie sah mit ihrem schwarzen Haar und den sanften Zügen plötzlich sehr jung aus. Alienor bemerkte ihren Schrecken und unterdrückte ein Seufzen. Berengeria war ein liebenswertes Mädchen und keineswegs dumm, aber manchmal vermißte sie an ihr etwas von Alais’ Feuer oder Joannas Lebendigkeit. Die Prinzessin von Navarra hatte ein an sich rührendes Schutzbedürfnis, das jedoch in Momenten wie diesem ein wenig lästig war, denn nun mußte Alienor das Mädchen trösten, bevor sie sich wichtigeren Dingen zuwenden konnte.
»Mach dir keine Sorgen, Kleines«, sagte sie und legte Berengaria einen Arm um die Taille, »wir kommen nach Messina.«
Dann sagte sie zu dem Grafen von Flandern: »Am besten, Ihr schifft Euch sofort ein. Ihr könnt dann eine Botschaft von mir an meinen Sohn mitnehmen. Uns bleibt ja wohl nichts anderes übrig, als zu tun, was der König uns rät.«
Sie ließ sich Feder und Papier bringen und schrieb schnell einige Zeilen an Richard. Inzwischen hatte man etwas Siegelwachs für sie erwärmt, sie faltete ihre Notiz und drückte den Ring mit ihrem persönlichen Signum auf die rasch erkaltende Masse. »Das wird genügen.«
Der immer noch irritierte Graf versprach, König Richard gleich nach seiner Ankunft von dieser Entwicklung zu unterrichten und ihren Brief zu übergeben, und eilte davon.
Danach blieb Alienor an dem Tisch sitzen und klopfte mit ihrer Feder nachdenklich auf das Holz.
Berengaria fragte verstört: »Aber was kann das alles zu bedeuten haben?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Alienor grübelnd, »aber ich werde den Verdacht nicht los, daß die Wahl zwischen dem Grafen von Flandern und uns nicht willkürlich getroffen wurde. Tankred kann es eigentlich nichts bedeuten, ob wir nun hier, in Brindisi oder in Messina sind. Aber der Mann, für den es wichtig sein könnte, ist der oberste Lehnsherr des Grafen.«
»König Philippe!« rief Berengaria. Alienor warf ihr einen erfreuten Blick zu;
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