Die Löwin von Aquitanien
brechen, nicht wahr?«
Bei Louis durfte man ungestraft ironisch sein, er spürte es nicht.
Um nichts in der Welt hätte sie ihm ihre wahren Gründe genannt: Dies war ihre Gelegenheit, aus Frankreich auszubrechen und die Welt kennenzulernen, Länder zu sehen, von denen sie sonst nur in Legenden hören würde - für eine kurze Zeit frei zu sein.
Wenn man sich nur darauf beschränkte, das zu tun, was diese Welt Frauen gestattete, erstickte man in der Enge, das hatte sie schon längst begriffen; doch erst jetzt, wo ihr großes Abenteuer bevorstand, merkte sie, wie eng ihr eigenes Dasein als Louis’ Königin geworden war. Niemals mehr in ihrem Leben würde sie eine solche Fahrt unternehmen können, Städte und Völker erkunden - und sie würde sich das von niemandem nehmen lassen. Doch wie entsetzt der arme Louis wäre, wüßte er, daß seine Gemahlin den heiligen Kreuzzug als persönliche Abenteuerreise auffaßte. Es war schon schwer genug gewesen, ihn zu der Grabverlegung des ketzerischen Abélard zu überreden, doch sie hatte so lange an sein gutes Herz appelliert, bis er nachgegeben hatte.
Es dauerte fast achtzehn Monate, bis die umfangreichen Vorbereitungen für den Kreuzzug abgeschlossen waren, Monate, die Alienor nutzte, um mit Marie in ihre Heimat zurückzukehren und quer durch Aquitanien zu ziehen - »um den Menschen den Kreuzzug näherzubringen und ihnen die Tochter ihrer Herzogin zu zeigen«, wie sie sagte. Wieder im Süden zu sein, wieder die Wärme der Sonne atmen zu können und unter den Menschen zu leben, die mit demselben Eifer stritten, mit dem sie sangen, lachten und liebten, war für sie, als hätte sie in der Wüste wiederbelebendes Wasser getrunken.
Sie besuchte all die Orte ihrer Kindheit wieder, auch solche, die mit ihrer Familie in Verbindung standen, die sie selbst aber noch nicht kennengelernt hatte. Dabei verlor sie sich nicht in Wiedersehensfreude, sondern nahm sämtliche Angelegenheiten des Landes in die Hände, traf Entscheidungen über Verwaltung und Privilegien, ohne Louis zu fragen. Es war ihre Heimat, und sie war die Herzogin… und außerdem war Louis mit seinen Kreuzzugsvorbereitungen ohnehin mehr als beschäftigt.
Im Februar 1147 debattierte Louis immer noch mit seinen Fürsten, auf welche Weise sie in das Heilige Land reisen sollten - zu Lande oder zu Wasser. Im Grunde war auch dies eine politische Entscheidung. Den Wasserweg zu nehmen, hieß, sich Roger II. von Sizilien anzuvertrauen, der sich bereits sehr um die Ehre bemühte, den heiligen Pilgerzug in seinem Hafen aufnehmen zu können. Er hatte nicht nur Briefe, sondern auch Gesandte geschickt, die mit Engelszungen von ihrem Herrn sprachen.
Aber Roger war Normanne und damit in Frankreich von vornherein verdächtig - seitdem der normannische Bastardherzog England erobert hatte, war die Normandie für jeden französischen König ein ständiger Quell der Unruhen.
Die Alternative war der Landweg über Konstantinopel und die Gastfreundschaft des Kaisers von Byzanz. Doch der Patriarch von Konstantinopel wurde von Rom immer noch als Feind des wahren Christentums angesehen. Erst in den letzten Jahren hatten sich die Beziehungen zwischen römischen und griechischen Christen dank der Bemühungen von Alienors Onkel Raymond merklich entspannt.
Während des Ersten Kreuzzugs hatte der byzantinische Kaiser die Kreuzfahrer als feindliche Eindringlinge und ihre eroberten Königreiche als Räubereien betrachtet, doch Raymond war es seit seiner Übernahme Antiochiens gelungen, diplomatische Beziehungen mit dem jetzigen Kaiser zu knüpfen. Er erkannte seine Ansprüche auf Antiochien und ihn als Lehnsherrn an, was seinerseits eine Anerkennung von Raymond als Fürst und einen feierlich besiegelten Pakt zur Folge hatte.
Die Entscheidung zwischen Sizilien und Byzanz würde um so schwerwiegender sein, da beide seit Jahrzehnten verfeindet und König Roger Raymond wegen der Eroberung Antiochiens ebenfalls feindlich gesinnt war. Louis brauchte nicht mit Alienor zu sprechen, um zu wissen, was ihre Meinung war. Er hatte eine ausgeprägte Antipathie gegen den berühmten Onkel seiner Gemahlin entwickelt, doch das allgemeine Mißtrauen gegen jeden Normannen wog schließlich noch schwerer. Er entschied sich, den Weg über Konstantinopel zu nehmen. Am zwölften Mai 1147 trat der fünfundzwanzigjährige König von Frankreich von der Abtei Saint-Denis aus den Zweiten Kreuzzug an, nachdem er Suger zum Reichsverweser gemacht und vom zu diesem Zweck eigens
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