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Die Löwin von Aquitanien

Die Löwin von Aquitanien

Titel: Die Löwin von Aquitanien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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mußt«, sagte sie wehmütig. Die jüngere Frau strich ihr über die Wange. »Ja, ich weiß. Ich würde auch gerne bleiben. Aber Henry und ich treffen uns in Le Mans, wo wir die Ankunft des Kanzlers erwarten wollen.«
    »Thomas Becket?« fragte Mathilda stirnrunzelnd. »Ich habe von ihm gehört, alles sehr widersprüchlich. Er soll der beste Freund deines Gemahls sein, sein ständiger Gefährte auf der Jagd und, wenn du es mir nicht übelnimmst, Alienor, so prunkliebend wie du selbst es bist, aber andererseits rühmt man selbst in meinem Orden seine Mildtätigkeit den Armen gegenüber, und es heißt, daß er sich den strengsten Fastenzeiten und Bußübungen unterzieht.«
    »Bin ich etwa nicht auch mildtätig? « fragte Alienor mit liebevollem Spott. »Und was die Bußübungen angeht, ich weiß nicht, ob Thomas Becket in der Lage wäre, jedes Jahr ein Kind auf die Welt zu bringen… oder ob er sich überhaupt vorstellen kann, was das bedeutet.« Obwohl sie immer noch im Scherz sprach, hatte sich eine unbewußte Veränderung in ihren Ton eingeschlichen, die der empfindsamen Mathilda sofort auffiel.
    »Was hältst du von ihm?«
    Alienor gestattete sich ein Schulterzucken. »Sehr klug, sehr fähig, und er ist ein angenehmer Gesellschafter.«
    Es war nicht die Antwort, die Mathilda haben wollte, doch sie fragte nichts mehr.

    Thomas Becket war von seinem König eine schwierige Aufgabe übertragen worden, und er meisterte sie, wie alle schwierigen Aufgaben, mit Bravour. Der Kanzler von England sollte mit dem König von Frankreich geheime Verhandlungen führen, und nachdem Louis mehrere Wochen lang der Überzeugungskraft Beckets ausgesetzt war, gab er nach.
    Nach Abschluß der Verhandlungen gingen die beiden Männer nach Saint-Denis, um dort Gott zu danken und zu beten, und zum ersten Mal konnte sich Louis nicht völlig auf sein Gebet konzentrieren. Er ertappte sich dabei, wie er dem englischen Kanzler neugierige und verwunderte Blicke zuwarf. Selten hatte er einen Mann so sehr, mit solcher Ausschließlichkeit im Gebet versunken gesehen, seit - ja, seit der heilige Bernhard gestorben war. Doch es war absurd, Thomas Becket mit dem berühmten Abt von Clairvaux vergleichen zu wollen.
    Becket, so dachte Louis, lebte so aufwendig, wie Bernhard schlicht gelebt hatte. Der Einzug des Kanzlers in Paris war ein Spektakel für die ganze Stadt gewesen; Becket hatte nicht weniger als zweihundertfünfzig Pagen und Schildknappen in seinem Gefolge gehabt, die zahlreichen Jäger nicht mitgerechnet, und die Pariser hatten die riesige Schar Habichte, Sperber und Falken bewundert, die sie mit sich führten. Dergleichen waren sie von ihrem König nicht gewohnt. Doch damit nicht genug. Den Pagen und Jägern war ein riesiger Warenzug gefolgt, hinter dem wiederum ein Schauspiel von fast orientalischer Pracht kam - zwölf Maultiere in prächtigem Geschirr, jedes mit zwei Kästen und einem keckerndem Affen beladen, die von der Menge bestaunt wurden.
    Und doch, dachte Louis, und doch - dieser weltliche Mann mit dem Auftreten eines Fürsten war einer der gläubigsten Menschen, die er je gesehen hatte, und es konnte sich einfach nicht um geschickte Heuchelei handeln. Nachdem sie ihr Gebet beendet hatten, fragte er impulsiv: »Wie kann ein Mensch wie Ihr dem König von England dienen, der…« Er vollendete den Satz nicht, doch das war auch nicht nötig, denn Louis hatte nach einundzwanzig Jahren Regierung immer noch nicht die Kunst der Verstellung gelernt.
    »… der als gottlos gilt, als frevlerisch und hochmütig wider Gott und die Kirche? « vollendete Becket. Er wirkte nicht verärgert, obwohl sich aus seinem Gesicht im allgemeinen nichts ablesen ließ.
    Distanziert fuhr er fort: »Glaubt mir, Ihr mißversteht den König und achtet zu sehr auf das Geschwätz seiner Feinde.«
    »Nun, Ihr seid sein Kanzler und müßt so antworten.«
    Thomas Becket schüttelte den Kopf. »Ich spreche aufrichtig, Euer Gnaden, obwohl Ihr mir Voreingenommenheit vorwerfen könntet, denn ich bin nicht nur der Kanzler des Königs, sondern auch sein Freund.«
    Louis schwieg. Es gab Momente, in denen er in Henry Plantagenet den Antichrist sah, und andere, in denen er sich verzweifelt fragte, wie Gott einen solchen Mann nur derart bevorzugen konnte. Drei Söhne und eine Tochter hatte Alienor ihrem zweiten Gemahl in sechs Jahren geboren, und wie man hörte, sollte ein fünftes Kind folgen.
    Wenn sie ihm in den fünfzehn Jahren Ehe auch nur einen Sohn geschenkt hätte, nie

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