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Die Löwin von Aquitanien

Die Löwin von Aquitanien

Titel: Die Löwin von Aquitanien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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»um über einen eidbrüchigen Verräter zu richten.«
    Es war der sechste Oktober 1164. Klerus und Barone waren in Northampton versammelt worden, nachdem der Erzbischof von Canterbury sofort nach seiner Rückkehr in sein Bistum die Konstitutionen von Clarendon für unrecht erklärt und einen erbitterten Brief an den Papst geschrieben hatte.
    Henry sah furchtbar aus. Er hatte deutlich sichtbar in den letzten Monaten zuviel getrunken und zuwenig geschlafen, seine Augen waren blutunterlaufen, und seine Adern traten auf der Stirn hervor.
    Der zeremonielle Purpurmantel tat ein übriges, um die Wirkung noch zu verstärken.
    Thomas Becket, der ihm in der schwarzen Augustinerkutte gegenüberstand, links und rechts von Würdenträgern der Kirche und des Adels umgeben, war dagegen sehr bleich, doch nicht ein Muskel in seinem maskenhaften Gesicht verriet Nachgiebigkeit.
    »Ich bin kein Verräter«, erwiderte er ruhig, »und ich weigere mich, mich als solchen bezeichnen zu lassen.«
    »Warum weist Ihr nicht auch den Vorwurf des Meineids zurück, hochwürdiger Erzbischof?« fragte Henry bissig. »Das ist doch Eure Unterschrift unter den Konstitutionen, oder ist das eine Augentäuschung meinerseits?«
    Becket preßte die Lippen aufeinander. »Diese Unterschrift war durch äußersten Druck erzwungen und unfreiwillig; ich gebe zu, ich hätte sie nicht leisten dürfen, doch Ihr habt tiefere Schuld auf Euch geladen, als Ihr mich dazu zwangt.« Henry begann, wie ein gefangenes Raubtier auf und ab zu gehen.
    »Ich habe Schuld auf mich geladen? Und wer seid Ihr, um darüber zu richten, Thomas Becket? Falls ich mich nicht irre, hatte das heilige Öl, mit dem Euer Vorgänger mich gesalbt hat, unter anderem den Zweck, mich nur Gott verantwortlich zu machen!«
    »Gott und seinen Vertretern auf Erden, der Kirche!«
    Keiner der Anwesenden wagte ein Wort einzuwerfen. Alle beobachteten nur wie gebannt den König und den Erzbischof. Becket fuhr fort, als stünde nicht er, sondern der König vor Gericht: »Aber Ihr, Ihr habt von Anfang an Gott und seine Kirche verleugnet, Ihr seid so machthungrig, daß Ihr die Autorität der Kirche bekämpft, wo Ihr nur könnt, und…«
    »Machthungrig? Und was zum Teufel seid Ihr? Seit ich Euch zum Erzbischof von Canterbury gemacht habe, benehmt Ihr Euch, als sei es an Euch, im Alleingang einen Eroberungsfeldzug in Sachen Gottes durchzuführen. Was soll das sein, wenn nicht Machthunger?«
    Beckets hellblauer Blick wurde brennend. »Ich habe niemals persönliche Macht für mich selbst gewollt - und was ich in meinem Erzbistum getan habe, war zur Ehre Gottes und zum Schutz seiner Kirche - zum Schutz vor Euch.«
    Henrys Stimme wurde gefährlich leise. »Die Kirche, die Ihr verteidigt, seht Ihr vor Euch. Möchte einer der Anwesenden etwas zu-gunsten des Angeklagten sagen? Nein?«
    Keiner kam der Aufforderung des Königs nach. »Also, damit ist die Sache klar. Ihr seid wegen Meineids verurteilt, Thomas Becket, und seid froh, daß ich Euch hier auch einen kirchlichen Gerichtshof zugebilligt habe. Was ich mit Euch tun werde, weiß ich noch nicht.
    Ihr habt Northampton vorerst nicht zu verlassen.«

    Er schritt an Becket und den Fürsten vorbei, wandte sich nur einmal kurz um und sagte mit einer verletzenden Beiläufigkeit: »Übrigens möchte ich einen Rechenschaftsbericht über Eure Zeit als Kanzler, mit allen Einzelheiten.« Damit verschwand er, doch es war ihm gelungen, Beckets marmorner Miene schließlich doch ein Gefühl zu entreißen.

    In derselben Nacht floh der Erzbischof von Canterbury nach Frankreich, wo ihn Louis bereitwillig aufnahm und ihm Asyl in der Zisterzienserabtei von Pontigny gewährte. Von dort aus exkommunizierte Becket, ohne zu zögern, gleichzeitig dreißig der englischen Bischöfe und Ratgeber des Königs.
    Henry war in seinem ganzen Leben noch nie in einem solch elenden Zustand gewesen wie jetzt. Kurze Zeit, nachdem ihn Louis’
    Antwort auf seine ohnehin ohne große Hoffnung gestellte Forderung nach Beckets Auslieferung erreichte - Louis hatte seinen Gesandten nur gefragt, wie es möglich sei, daß ein Prälat vom König abgesetzt und verurteilt wurde, etwas, das sich er, ebenfalls von Gottes Gnaden König, nie einfallen lassen würde zu tun -, begegnete Henry Walter Cliffords Tochter Rosamond.
    Walter Clifford war einer seiner normannischen Ritter, die sich an der walisischen Grenze ständige Fehden mit den einheimischen Walisern lieferten. Er war in der Hoffnung auf Hilfe zu seinem König

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