Die Löwin von Aquitanien
frei ausging. Als das königliche Gericht ihn aufforderte, vor ihm zu erscheinen, weigerte er sich unter Berufung auf den Erzbischof von Canterbury, und alles, was dieser Henry dazu schrieb, war, wenn er sich beleidigt fühle, dann solle er doch in Canterbury vor dem kirchlichen Gerichtshof erscheinen, und es werde ihm Gerechtigkeit zuteil werden. Soviel zu Thomas Becket!«
»Aber«, sagte Mathilda zweifelnd, »es kann doch nicht Machthunger sein, der ihn antreibt - er hatte alle Macht, die er erhoffen konnte, schon als Kanzler.«
Alienor strich sich das Haar aus der Stirn. »Ich weiß nicht, was ihn antreibt«, sagte sie ablehnend, »es sei denn der überwältigende Drang, im Recht zu sein. Und ehrlich gesagt ist es mir auch ziemlich gleichgültig. Ich hoffe nur, daß wir jetzt keinen Ärger mehr mit den Gerichten haben werden, nachdem Henry in Clarendon seinen Willen durchgesetzt hat.«
Die meisten Bischöfe waren, anders als Becket, adlige Landbesitzer. Vor die Wahl zwischen einem Thomas Becket, der sie durch seine plötzliche evangelarische Armut beschämte und dem sie immer noch mißtrauten, und einem aufgebrachten Henry Plantagenet, dessen skrupelloses Durchsetzungsvermögen sie kannten, gestellt, hatten sie in Clarendon gegen die Interessen der Kirche dem König nachgegeben.
Henrys Umgestaltung der Gesetzgebung hatte derzeit in Europa nicht ihresgleichen und wurde in kirchlichen Kreisen heftig diskutiert. »Stimmt es, daß nach den neuen Konstitutionen jeder Bischof Henry den Lehnseid schwören muß?« erkundigte sich Mathilda.
Alienor nickte. »Ich weiß, daß Euch das nicht gefällt, Tante, aber wenn Ihr es richtig seht, sind die Kirchenfürsten mit ihren Ländereien genauso mächtig wie die Barone, und es ist nur vernünftig, sie beide als Versallen zu behandeln. Wenn die Kirche darauf besteht, weltlichen Besitz zu haben, muß sie sich auch an die weltliche Gerichtsbarkeit gewöhnen.«
Mathilda dachte darüber nach. Die Konstitutionen legten auch fest, daß nur der König allein entscheiden konnte, unter wessen Gerichtsbarkeit ein Prozeß fiel. Unbehagen bereitete ihr vor allem eine andere Verordnung, die sie für zu anmaßend und falsch hielt.
»Ich habe gehört«, sagte sie zögernd, »daß die Konstitutionen von Clarendon unter anderem bestimmen, daß kein Geistlicher ohne königliche Erlaubnis an den obersten Gerichtshof in Rom appellieren oder den Kontinent bereisen darf.«
»Und Ihr glaubt, daß eine solche Macht dem König nicht zustünde«, stellte Alienor fest. Die Äbtissin nickte. Ihr feines Gesicht verriet tiefe Sorge. »Dergleichen kann der Heilige Vater nicht dulden, und ich befürchte, es wird noch sehr schwere Zeiten für deinen Gemahl und dich geben.«
Alienor verzog den Mund. »Ich glaube nicht, daß der Heilige Vater starrköpfiger sein könnte als Thomas Becket, und Becket hat schließlich die Konstitutionen unterschrieben.«
»Bist du denn überzeugt, daß es damit zu Ende ist?« fragte Mathilda zweifelnd.
Alienor stützte ihre Hand gegen den schmerzenden Rücken. »Ich hoffe es, Tante«, sagte sie abwesend und mit gerunzelter Stirn. Mathilda schien es, als wollte sie noch etwas hinzufügen, unterließ es jedoch. Ein anderes Thema ansprechend, erkundigte sie sich nach ihrem Patenkind.
Alienor lächelte. »Wir haben vor, sie mit Herzog Heinrich von Braunschweig zu verloben. Er ist nach Kaiser Friedrich von Hohenstaufen der mächtigste Mann im Heiligen Römischen Reich und als solcher ein sehr wertvoller Verbündeter.«
Es war in der Tat die glänzendste Partie, die eine ihrer Töchter derzeit machen konnte, es sei denn, die junge Mathilda wäre mit dem Kaiser selbst verlobt worden. Gleichzeitig war es eine Entscheidung zwischen den beiden großen rivalisierenden Familien im Heiligen Römischen Reich, den Welfen und den Staufern, die beide eine Verbindung mit England gesucht hatten. Es war kein Geheimnis, daß der Welfe Heinrich nach der deutschen Königs- und der römischen Kaiserkrone trachtete.
Sie plauderten noch eine Weile über Mathilda und die anderen Kinder, doch Alienors Gedanken kehrten ständig zu ihrem Gemahl zurück. Sie konnte sich nicht vorstellen, daß sein Streit mit seinem ehemaligen besten Freund ein so glattes Ende gefunden hatte. Henry hatte Becket zwar die Hände gebunden, doch sie spürte, daß noch mehr auf sie alle zukam. Nein, die Äbtissin von Fontevrault hatte recht: Dies war noch nicht das Ende.
»Hier sind wir also«, sagte Henry schneidend,
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