Die Löwin von Aquitanien
sein, daß er jederzeit wieder zu Besitz komme. Die Kirche indessen wurde nachdenklich.
Nur ein Jahr später, Henry und Alienor hielten gerade in Rouen hof, kam die Botschaft, der Erzbischof von Canterbury weise die neueste Steuer des Königs als ungesetzlich zurück. Henry fühlte sich weniger gekränkt als vor den Kopf gestoßen; er nahm jedoch an, Thomas wolle damit zeigen, daß es nach dem Druck, den er im letzten Jahr auf die Bischöfe ausgeübt hatte, noch zu früh sei, um tatsächlich eine Steuerreform durchzuführen.
Doch nach einer Woche mußte er von einer weiteren Querstellung Beckets hören. Henry wollte nach einem Jahr nun endlich sein Problem mit den Gerichten lösen und hatte verlangt, daß fortan ein vom kirchlichen Gerichtshof für schuldig befundener Geistlicher ohne Rücksicht auf sein Amt der weltlichen Gerichtsbarkeit überlassen werde.
Als Henry von dem Brief aufblickte, der das erzbischöfliche Siegel trug, war sein Gesicht aschgrau, und Alienor erschrak. »Er schreibt«, sagte Henry leise, »er würde nie zulassen, daß ein Mensch zweimal für dasselbe Vergehen abgeurteilt werden würde, das spräche jedem Rechtsempfinden hohn. Und dann«, seine Stimme hob sich, bis sie sich fast zu einem Brüllen steigerte, »dann fügt er hinzu, Geistliche könnten überhaupt nicht von einem königlichen Gericht bestraft werden, im Gegenteil, sie seien Richter über den König!«
Henry zerknüllte den Brief in seiner Hand, bis er nicht mehr als eine kleine Kugel war. Er schleuderte sie auf den Boden. »Wie kann er es wagen!« schrie er. Schweigen herrschte unter den Edelleuten, und Henry beruhigte sich wieder ein wenig. »Nun ja«, sagte er zynisch, »ich wußte doch, daß ich ein Wunder fertigbringe. Das hier stellt Paulus’ Erleuchtung bei Damaskus bei weitem in den Schatten!«
Aber nun war er verletzt. Wenn er das Wohlergehen seiner Kirche gewollt hatte, dachte Alienor, dann hatte Becket genau den falschen Weg gewählt. Henry zu verletzen, bedeutete, ihn gefährlich herauszufordern, besonders wenn er sich verraten fühlte. Sie konnte es selbst kaum glauben und war erzürnt über diese Anmaßung, doch sie war nie mit Becket befreundet gewesen. Für Henry mußte die Enttäuschung seinen Zorn um ein Hundertfaches steigern!
Henry berief seinen ältesten gleichnamigen Sohn aus dem erzbischöflichen Haushalt zurück; er hatte eine Entscheidung getroffen.
Falls es zum Machtkampf zwischen König und Kirche kommen sollte, gut! Er würde nicht eingeschüchtert zurückweichen. Wenn Thomas ihre Freundschaft so verraten konnte, dann würde auch er keine Rücksicht mehr nehmen. Doch die bittere Enttäuschung über den Lauf der Ereignisse blieb und schwärte in seinem Inneren.
»Wenn es noch unangenehmere Monate als die letzten neun gibt«, sagte Alienor zu der Äbtissin Mathilda, »kann ich darauf verzichten, sie zu erfahren.« Mathilda fand, daß die Königin erschöpft und abgespannt aussah, wenn auch mit einiger Berechtigung. Inzwischen war ganz Europa auf den Machtkampf zwischen Henry II. von England und seinem Erzbischof Thomas Becket aufmerksam geworden. Außerdem war Alienor schon wieder schwanger und übte während Henrys Abwesenheit in England die Regentschaft aus.
»Nun, du hast noch weitere anstrengende Monate vor dir«, erwiderte Mathilda mit einem aufmunternden Lächeln.
Alienor winkte ab. »Daran bin ich gewöhnt. Obwohl ich wirklich hoffe, daß dies mein letztes Kind ist - ich bin immerhin schon zweiundvierzig!«
Mathilda hatte, obwohl sie im Kloster lebte, noch nie eine Frau kennengelernt, die so offen über ihr Alter sprach wie Alienor; es war die Selbstsicherheit einer Frau, die sich ihrer Anziehungskraft noch immer gewiß ist.
Mathilda bot Alienor etwas von dem klaren Wasser an, das eine Novizin hereingebracht hatte, und bemerkte: »Ich kann verstehen daß dein Gemahl sich verraten und als König angegriffen fühlt, mein 201
Kind, aber andererseits muß ich zugeben, daß mir auch das Argument des Erzbischofs einleuchtet, man dürfe einen Menschen nicht zweimal für dasselbe Vergehen bestrafen.«
Alienor trank und entgegnete dann abschätzig: »Das wäre ein besseres Argument, wenn die kirchlichen Gerichte wenigstens angemessene Urteile fällen würden! Aber tatsächlich kommt es ständig zu solchen Unmöglichkeiten wie im letzten Jahr, als ein Domherr angeklagt wurde, einen Ritter ermordet zu haben, sich vor dem Kirchengericht unter Eid rechtfertigte und dann ohne jede Strafe und
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