Die Löwin
dich wohl eher früher als später an einem Baum aufhängen.« Gaetano misstraute dem Mann und nahm sich vor, in der Nähe des Malatesta-Lagers noch wachsamer zu sein, damit der Kerl, mit dessen Aussage Rodolfo Borelli konfrontieren wollte, nicht ausriss und bei ehemaligen Bandenmitgliedern Zuflucht suchte.
Er ahnte nicht, dass Tino sich schon bei dem Gedanken an seine einstigen Kumpane schüttelte, die nun Söldner spielten, denn er kannte die grausamen Rituale, in denen sie echte oder vermeintliche Verräter zu Tode brachten. Daher schien es dem Räuber am sichersten, wenn er sich an Rodolfo hielt und sich diesem angenehm machte. Er schätzte den Grafen d’Abbati inzwischen als weichherzig genug ein, dass dieser ihn nicht aufhängen, sondern als Knecht oder Soldat in seinem Gefolge behalten würde. Zwar wusste er, dass Rodolfo neben seinem wohlklingenden Titel kaum mehr besaß als das Geld in seinem Beutel, aber das störte ihn nicht. Schon morgen konnte Fortuna ihn mit Glücksgütern segnen, von denen auch seine Untergebenen profitieren würden.
Rodolfo las in Tinos lebhaftem Mienenspiel und konnte sich zusammenreimen, was den Mann bewegte. Zuerst amüsierte er sich darüber, doch dann zuckte er mit den Schultern, der Kerl war auch nicht schlechter als die meisten seiner Landsleute. In diesen Zeiten, in denen die einfachen Leute von ihren Herren ebenso bedrängt wurden wie von allerlei durchziehendem Kriegsvolk und in denen der Nachbar um einer Meinungsverschiedenheit willen den Nachbarn erschlug, waren Räuber die Helden der Armen, und mancher, der tagsüber einer ehrlichen Arbeit nachging, plünderte nachts die Erschlagenen auf den Straßen aus. So gesehen gab es für ihn keinen Grund, Tino aufzuhängen, denn wenn er ihm das Leben schenkte, bekam er einen Diener, der ebenso geschickt wie gewitzt war und auf dessen Treue er sich verlassen konnte.
Kurz entschlossen tippte er ihn an. »Wenn du die Wahrheit gesagt hast, könnte ich mir überlegen, dich als Leibdiener zu behalten. Solltest du mich jedoch bestehlen, werde ich mich erinnern, was ich mit dir hätte tun sollen.« Er begleitete seine Worte mit einem freundlichen Lächeln, doch sein Tonfall verriet, dass er es ernst meinte.
Tino warf in einer gekränkten Pose die Arme hoch. »Was denken Euer Gnaden nur von mir?«
»Es reicht, wenn du mich mit Signore Rodolfo ansprichst oder, wenn es sehr förmlich sein soll, mit Conte. Euer Gnaden ist noch etwas zu hoch für mich. Da müsste ich schon der Nachfolger meines Onkels werden, und der hat für mich weniger übrig als eine schöne Jungfer für Warzen in ihrem Gesicht.«
Gaetano machte aus seinem Ärger über Rodolfos Gutmütigkeit kaum einen Hehl und rückte während der fröhlichen Unterhaltung nervös auf seinem Stuhl herum. Schließlich erhob er sich. »Verzeiht, Capitano, aber ich denke, ich sollte mir Malatestas Lager ansehen. Da mich keiner seiner Leute kennt, wird auch keiner misstrauisch werden.«
Rodolfo überlegte kurz und nickte. »Mach das, mein Guter. Vielleicht erfährst du Dinge über Borelli, die uns weiterhelfen können.«
Gaetano trank seinen Becher leer und verließ die Gaststube. Rodolfo hörte, wie er draußen nach seinem Pferd rief und kurz darauf wegritt. Nun blieb ihm nur zu hoffen, dass sein Freund etwas über Malatestas und Borellis Reiseziel erfuhr. Er selbst konnte nichts anderes tun als warten, obwohl Borelli sich in jeder Stunde weiter von ihm entfernte.
Es war erst Nachmittag und die Sonne stand noch ein hübsches Stück über dem Horizont, doch die Herberge füllte sich bereits. Auch wenn Asola an keiner der großen Überlandstraßen lag, kamen genug Reisende vorbei, die von Brescia aus nach Parma wollten, ohne dabei den Weg über Cremona zu nehmen. Es handelte sich meist um Adelige und wohlhabende Herren, denen der Staub der Fernhandelsstraßen und das Gewimmel der Pilger zuwider waren und die zudem einen edlen Tropfen und eine gute Küche zu schätzen wussten. Daher fand Rodolfo sich inmitten eines Kreuzfeuers neugieriger, aber auch kritischer Blicke wieder. Seines abgerissenen Aussehens wegen hielt mancher ihn für einen Räuber. Doch der Wirt, dem er sich vorgestellt hatte, brachte seinen Gästen mehrfach zur Kenntnis, dass sie den Grafen d’Abbati vor sich sahen.
Ein beleibter Herr, dem man schon von weitem den Kaufmann ansah, setzte sich ungebeten an Rodolfos Tisch und rief dem Wirt zu, eine Kanne seines besten Weines zu bringen. »Ihr seid wirklich ein Graf?«,
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