Die Loge
Liquiditätskrise und brach zusammen. Ihr Bankrott deckte auf, daß Puccis Imperium ein finanzielles Kartenhaus war, von dem innerhalb weniger Wochen nur noch klägliche Ruinen existierten. Pucci selbst flüchtete aus seiner geliebten Villa Galatina und ging nach Cannes ins Exil.
Was den Vatikan anbetraf, so beharrte dieser öffentlich auf seiner Theorie, der Attentäter, der solche Verwüstungen angerichtet hatte, habe aus religiösem Wahn gehandelt und keine Verbindungen zu irgendeinem Staat, einer Terrororganisation oder einem Geheimbund. Der Heilige Stuhl leugnete nachdrücklich, daß es eine Geheimgesellschaft namens Crux Vera gegeben habe, und erinnerte die Vaticanisti bei jeder Gelegenheit daran, daß Logen und Geheimbünde innerhalb der katholischen Kirche verboten waren. Trotzdem wurde dem Pressekorps und sonstigen Vatikanbeobachtern bald klar, daß Papst Paul VII. dabei war, eine Säuberungsaktion durchzuführen. Über einem Dutzend führender Männer der römischen Kurie – darunter auch der doktrinäre Vorsitzende der Glaubenskongregation – wurden seelsorgerische Aufgaben übertragen, manche wurden auch in den Ruhestand versetzt. Nach der Ernennung eines Nachfolgers für Marco Brindisi gab es im Staatssekretariat große personelle Veränderungen. Rudolf Gertz, der Pressechef des Vatikans, kehrte nach Wien zurück.
Ari Schamron überwachte Gabriels Genesung von Tel Aviv aus. Gegen Levs Widerstand hatte er es geschafft, sich wieder am King Saul Boulevard zu etablieren, um das sogenannte »Team Leopard« zu leiten. Der einzige Zweck dieser Gruppe war es, den schwer zu fassenden Terroristen, der Benjamin Stern und unzählige andere ermordet haben sollte, aufzuspüren und zu liquidieren. Diese neue Aufgabe schien Schamron verjüngt zu haben. Seine engsten Mitarbeiter stellten erstaunt fest, wieviel besser er jetzt aussah.
Für die ins Team geholten Mitarbeiter bedeutete sein verbesserter Gesundheitszustand gleichzeitig die Rückkehr seines cholerischen Temperaments, und er trieb sich und seine Untergebenen bis zur Erschöpfung an. Kein Hinweis, kein Gerücht galt als zu unbedeutend, um nicht verfolgt zu werden. Der Leopard war angeblich erst in Paris, danach in Helsinki gesehen worden. Die tschechische Polizei verdächtigte den Leoparden, in Prag einen Auftragsmord verübt zu haben. In Moskau wurde sein Name im Zusammenhang mit der Ermordung eines hohen Beamten genannt. Und in Teheran hörte ein Agent des Diensts Gerüchte, der Leopard habe sich soeben vertraglich verpflichtet, für den iranischen Geheimdienst zu arbeiten.
Die Hinweise waren vielversprechend, erwiesen sich aber letztlich allesamt als unbegründet. Trotz dieser Rückschläge ermahnte der Alte sein Team, die Hoffnung nicht aufzugeben. Schamron hatte seine eigene Theorie darüber, wie der Leopard aufgespürt werden würde. Geldgier treibe ihn an, erklärte Schamron dem Team, und seine Geldgier werde ihn eines Tages zu Fall bringen.
An einem warmen Abend gegen Ende Mai sprang ein Fußball auf Gabriel zu, als er mit Chiara auf dem Campo di Ghetto Nuovo spazierenging. Er ließ ihre Hand los und war mit drei schnellen Schritten bei dem ausrollenden Ball. »Gabriel! Dein Kopf!« rief sie, aber er hörte nicht auf sie. Er holte mit dem rechten Fuß aus und traf den Ball mit großer Wucht , woraufhin ein dumpfer Aufprall von der Fassade der Synagoge widerhallte. Der Ball beschrieb einen eleganten Bogen durch die Luft und landete in den Händen eines ungefähr zwölfjährigen Jungen, der eine mit Haarnadeln festgesteckte kippa auf seinem Lockenkopf trug. Der Junge starrte Gabriel einen Augenblick mißtrauisch an, dann lächelte er und lief zu seinen Freunden zurück. Als Gabriel wieder zu Hause war, rief er Francesco Tiepolo an, um ihm zu sagen, er sei jetzt bereit, seine Arbeit fortzuführen.
Auf dem Gerüst fand Gabriel alles unverändert vor: seine Pinsel und seine Palette, seine Pigmente und seine Dispersionsfarben. Er hatte die Kirche für sich allein. Die anderen – Adriana, Antonio Politi und die übrigen Angehörigen des San-Zaccaria-Teams – waren mit ihrer Arbeit fertig und längst anderswo beschäftigt. Chiara verließ die Kirche keinen Augenblick, solange Gabriel dort arbeitete. Mit dem Rücken zum Portal, eingerahmt und von dem majestätischen Hochaltar, bildete er ein einladendes Ziel, deshalb saß sie unten am Gerüst, auf dem er arbeitete, und ließ das Kirchenportal nicht aus den Augen. Dabei äußerte sie nur einen Wunsch
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