Die Loge
und den Bellini rechtzeitig fertigstellen. Die Touristen kommen, Francesco! Soll ich ans Portal von San Zaccaria ein Schild »Wegen Renovierung geschlossen« hängen?
Daraufhin intervenierte der Vatikan bei diesem Disput, was höchst ungewöhnlich war. Monsignore Luigi Donati schickte eine scharf formulierte E-Mail nach Venedig und brachte darin den Wunsch des Heiligen Vaters zum Ausdruck, Signor Delvecchio solle Gelegenheit erhalten, die Restaurierung von Bellinis Meisterwerk zu beenden. Rasch revidierte der Kirchenverwalter seine Entscheidung. Am nächsten Tag überbrachte ein Bote Gabriel eine Schachtel venezianischer Pralinen und ein Billett, das ihm baldige Genesung wünschte.
Während Gabriel sich erholte, führten sie das Leben normaler Venezianer. Sie aßen in Restaurants, die kein Tourist gefunden hätte, und machten jeden Abend nach dem Essen einen Spaziergang durch das Ghetto Nuovo. An manchen Abenden gesellte sich Chiaras Vater nach dem maariw zu ihnen. Er interessierte sich betont beiläufig für die Art ihrer Beziehung und versuchte diskret, Gabriels Absichten zu erkunden. Hatte er das lange genug getan, klopfte ihm Chiara leicht auf die Schulter und sagte: »Papa, bitte.« Dann hakte sie sich bei beiden Männern unter, und gemeinsam schlenderten sie schweigend über den Campo weiter, während die sanfte Abendbrise sie umfächelte.
Gabriel verließ das Ghetto nie, ohne zuvor an der Casa Israelitica de Riposo stehenzubleiben und durchs Fenster einen Blick auf die Alten zu werfen, die abends vor ihrem Fernseher saßen. Seine Haltung war dabei stets die gleiche: die rechte Hand am Kinn, die linke Hand als Stütze unter dem rechten Ellbogen, den Kopf leicht nach unten geneigt. Chiara konnte ihn sich so hoch oben auf seinem Gerüst vorstellen, wo er mit einem Pinsel zwischen den Zähnen auf ein beschädigtes Gemälde hinabstarrte.
Da sie in diesem Frühjahr nicht viel anderes zu tun hatten, als Gabriels Genesung abzuwarten, verfolgten sie die Ereignisse im Vatikan mit wachem Interesse. Papst Paul VII. brachte seine Initiative wie versprochen auf den Weg, indem er eine Kommission aus Historikern und anderen Fachleuten ernannte, um sie die Rolle des Vatikans im Zweiten Weltkrieg und den traditionellen Antisemitismus der katholischen Kirche untersuchen zu lassen. Diese Kommission hatte insgesamt zwölf Mitglieder: sechs Katholiken und sechs Juden. Die anfangs festgelegten Regeln sahen vor, daß die Historiker fünf Jahre lang Dokumente aus dem vatikanischen Geheimarchiv auswerten würden. Ihre Beratungen würden streng geheim bleiben. Nach fünf Jahren würden sie ihren Bericht schreiben und dem Papst – wie immer dieser dann auch heißen mochte – zur weiteren Veranlassung vorlegen. Von New York über Paris und bis nach Jerusalem war die Reaktion der jüdischen Gemeinden auf diesen Aufsatz überwältigend positiv.
Einen Monat nach ihrem Zusammentreten legte die Historikerkommission eine erste Liste von Dokumenten vor, die sie im vatikanischen Geheimarchiv einsehen wollte. Zu den Dokumenten dieser ersten Tranche gehörte ein Memorandum, das Bischof Sebastiano Lorenzi vom päpstlichen Staatssekretariat für Seine Heiligkeit Papst Pius XII. verfaßt hatte. Dieses vernichtet geglaubte Memorandum enthielt einen Bericht über ein Geheimtreffen, das im Jahr 1942 am Gardasee stattgefunden hatte. Die Kommissionsmitglieder, die sich an die für ihre Arbeit aufgestellten Richtlinien hielten, äußerten sich nicht öffentlich zu seinem Inhalt.
Die Initiative des Papstes wurde jedoch rasch von etwas anderem überschattet, das die italienische Presse als Crux-Vera-Affäre betitelte. In einer Serie aufschlußreicher Reportagen enthüllte Benedetto Foà, der Vatikankorrespondent der Repubblica, die Existenz einer katholischen Geheimgesellschaft, die höchste Kreise des Heiligen Stuhls, der Regierung in Rom und der italienischen Finanzwelt unterwandert hatte. Laut Foàs ungenannten Quellen reichten die Tentakel der Crux Vera sogar über Europa hinaus bis in die Vereinigten Staaten und nach Lateinamerika. Gemeinsam mit Roberto Pucci, dem öffentlichkeitsscheuen Finanzier, und Carlo Casagrande, dem ehemaligen Chef des vatikanischen Sicherheitsdiensts, sollte Kardinal Marco Brindisi, der ermordete Kardinalstaatssekretär, das Führungstrio der Crux Vera gebildet haben. Pucci ließ durch seine Anwälte ein Dementi verbreiten, aber kurze Zeit nach dem Erscheinen von Foàs Artikel geriet eine Pucci gehörende Bank in eine
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