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Die Logik des Verruecktseins

Titel: Die Logik des Verruecktseins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Preiter
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Todesgefahr
    Sein im Raum. Das heranwachsende Leben, das auf dem Wege zu seinen Welteroberungsmöglichkeiten ist, wird zu Beginn seines Werdens umgeben von einer biologischen Apparatur, die ihm Schutzhülle und darauf nach 40 Wochen Gefängnis ist. Das hier geborgene Sein verfügt über atmosphärische Ahnungskompetenzen, die stetig anwachsen, aber zunächst ausgerichtet bleiben auf ein unveränderliches Um-das-Sein-Herum. Dem Herum, dem Uterus, wird keine persönliche Kernstruktur beigeordnet, sondern nur ein selbstverständliches Da-Sein zugewiesen. Das ist die Erfahrung dieses sich entwickelnden Wesens: Sein im Raum.
    Was den Embryo angeht, der dann nach der zehnten Woche als Fötus bezeichnet wird, so gibt es vermutlich zwei Ahnungen: einmal das in ihm prickelnd sich Äußernde und Entstehende in seiner wachsenden Intensität und zum Zweiten das Herum, welches überall schon da ist, wo der Fötus hinreicht.

    Das Herum ist die höchste und konkreteste Form des Ergänzens, die perfekteste Prothesenfunktion biologischer Natur. Sie kümmert sich um alles: um Nahrung, um Sauerstoff, um Wärme, um Schutz.
    Im Verlauf wird dieses »Paradies« jedoch am Ende der Schwangerschaft zur fürchterlichsten und Todesangst provozierenden Gegnerschaft für den Fötus. Der Geburtsvorgang ist der Umschlagpunkt, wo das ewig scheinende Versprechen, Schutzhülle zu sein, als Fruchthülle platzt und eine Trennung einleitet, die aber durch die Aufnahme in den erweiterten Schutzraum »Love boat« entschädigt wird. Bei der Geburt wird erstmalig ein Abstrich gemacht von konkreter Ergänzertätigkeit weg hin zu Symbolvorstufen und Selbstergänzungen: Beruhigungen mit dem ganzen Körper werden eingetauscht gegen Teilkörperberuhigungen. Die Hand des Ergänzers auf dem Kopf des Kindes ist haptisch bedeutend weniger als die Umfangenheit durch den Uterus und das Ganzkörperbad im Fruchtwasser. Die uterin gelebte und gebotene Vollversorgung wird reduziert und der Fähigkeit zur beginnenden Selbstversorgung Platz gemacht. Das Es, das jetzt ein Kind ist und das einen Namen erhält, so als habe es schon Persönlichkeit, muss/kann von nun an selbst atmen, selbst trinken, selbst essen und selbst durch Rufen Hilfe einfordern. Aber vieles Wichtige kann es noch nicht.
    Von nun an herrscht ein anderes Sein in einem anderen Raum. Ein erweitertes Sein in einem erweiterten Raum, in dem vieles zunächst unbekannt ist und nicht alles einladend wirkt. Die Eroberung des Fremden bedarf einer Selbstsicherheit, die anfänglich noch von einem anderen gespendet wird. Erziehung heißt dann später auch in Wiederholung des ersten Austreibungsvorgangs vor allem Trennungs- und Distanzertragungskompetenzen zu vermitteln, damit der Überstieg in geweiterte und rauere Räume, wie er lebensbegleitend immer wieder erforderlich ist, möglich wird. 9 Neues willkommen heißen können hat das Abschiednehmen immer als Vorbedingung.

Schizophrenie als Rückkehr in die allererste Todesangst
    Wenn unsere These stimmt, dass Psychopathologie erklärlich ist durch den binokularen Blick, evolutionäre Prozesse auf dem einen Auge sowie Individualentwicklung auf dem anderen Auge, dann muss die tiefste psychische Störung ein Scheitern des ersten Trennungsereignisses zitieren. Dann muss es eine psychopathologische »Krankheits«-Einheit geben, in der die Patienten die taphephobiemotivierte uterine Sein-Raum-Situation der ersten Trennungssituation neu durchleiden. Sie müssen wie noch innen verblieben sein und vor der Hürde der ersten Trennung verzweifeln. Sie sollten das Herum wie einen unpersönlichen, diffusen, ausschnittslosen Universalschreck erleben, dem gegenüber es kein Behaupten gibt. Sie sollten, da noch innen, nicht essen, nicht trinken und nicht rufen können. Nur wer schon draußen ist, kann sich vokal sirenenhaft mitteilen. Und nur wer schon draußen ist, die erste Trennung kompetent überwunden hat, kann das »Love boat« herbeirufen. Sie sollten wie gelähmt das Mitmachen im Austreibungsversuch verweigern. Sie sollten Stimmen hören, da das einzige Menschenverhältnis, in dem Stimmen gehört werden, die nicht zugewiesen werden können, in der ersten Sein-Raum-Situation - und nur dort - »natürlich« ist. Nur im Uterus vernimmt der Mensch Stimmen, die durch die Bauchdecke in den Uterus hineindringen können, ohne dass der von der Stimme erreichte Mensch diesen Stimmen eine Person zuordnen kann. Er weiß ja noch nicht, was eine Person überhaupt ist. Der postulierte

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