Die Logik des Verruecktseins
die der Borgs sich im weiteren Verlauf tatsächlich aufgrund des Reproduktions- und Evolutionsersatzes durch »Assimilation« stabil erhalten, da es keinen
Egoismusanreiz mehr geben würde. Es ist aber nicht vorstellbar, dass ein Mechanismus wie der der Evolution, welcher durch Verfolgung individueller Interessen am Laufen gehalten wird, zu kollektiver Selbstlosigkeit führt. Zu Kooperation ja, im Sinne eines »alle für einen«, aber nicht zur generellen Selbstaufgabe eines »einer für alle«. 53 Evolutionär betrachtet ist es also nichts mit einer borgschen Lebensform.
Unsere Sterblichkeit und unsere Form der Reproduktion erzwingen einen »Egoismus«, der trotz Serienschaltungskompetenz vorhanden bleiben musste. Wir betrachten also eine Situation unserer evolutionären Entwicklung, in der Gene Organismen konstruiert haben, die mit relativ großen Gehirnen ausgestattet sind, wobei diese Gehirne miteinander kooperieren und gleichzeitig konkurrieren müssen. Es existieren persönliche, individuelle Sorgenhorizonte und überindividuelle Sorgenhorizonte der Gruppe, welche in großen Bereichen übereinstimmen, aber eben nicht ganz deckungsgleich miteinander sind. Die evolutionäre Kernfrage ist, wie diese Interessendiskrepanz bewerkstelligt werden kann. Wie können die Gehirne miteinander in Kontakt treten und jeder für sich diesen Sozialitätsspagat durchführen? Nicht zum Wohle der Gruppe, sondern zum Wohle jedes einzelnen Individuums, denn um Reproduktion des einzelnen Individuums geht es im evolutionären Prozess, nicht um Evolutionserfolg der Gruppe. Jedenfalls gilt dies für die prähominiden Entwicklungsstufen unserer Vorfahren. 54
Navigieren im Straßenverkehr des Lebens
Versuchen wir anhand eines Alltagsbeispiels das verwobene Thema zu entflechten. Stellen Sie sich vor, Sie wollten von zu Hause mit Ihrem Auto an einen Ort in einer anderen Stadt fahren. Ihnen ist nicht bekannt, über welche Wegstrecke Sie an diesen Ort gelangen können, weshalb Sie die Zieldaten in Ihr Navigationsgerät eingeben. Sie starten den Motor und eine freundliche Stimme informiert Sie über jeweilige Abbiegerichtungen und dirigiert Sie somit über den
Verlauf der Wegstrecke. Ihr Auto ist mit einem Automatikgetriebe ausgestattet, weshalb Sie nur Gas geben und bremsen müssen, den Rest erledigt das Automatikgetriebe, das unabhängig von Ihnen mal heraufschaltet, wenn Sie in hoher Geschwindigkeit über die Autobahn brausen, und mal herunterschaltet, wenn Sie nur im Schritttempo durch die Stadt fahren. Daneben werden leichte Fahrfehler durch das ABS-System und andere Überwachungssysteme wie Antischlupfregelung, also von sogenannten Traktionskontrollen, die verhindern, dass die Räder beim Beschleunigen durchdrehen, automatisch ausgeglichen. (Frage: Wer steuert eigentlich die Fahrt? Sie? Das Auto? Das Navigationssystem? Die Traktionskontrollen?)
Während Ihrer Fahrt treffen Sie auf der Straße auf andere Autos, in denen andere Fahrer sitzen. Diese verfolgen ebenfalls bestimmte Ziele, die sie ansteuern und wo jeder so schnell wie möglich ankommen will. Zusammen mit Ihnen bilden diese Autos den Straßenverkehr. Jeder verfolgt eigene Ziele, dennoch fährt keiner so rücksichtslos, dass es zum Unfall kommt. Gelegentlich verständigen sich die Fahrer untereinander: durch Mimik, Gestik oder Hupsignale, die entweder fordernd-aggressiv oder wohlwollend-auffordernd gemeint sein können. 55 Manchmal verzichten Autofahrer sogar darauf, so schnell wie möglich voranzukommen, und winken andere Fahrer in den Straßenverkehr herein, um ihnen die nicht notwendigerweise zustehende Vorfahrt zu gewähren. (Frage: Ist das Kooperation? Oder ist das Altruismus?)
Wenn nichts Besonderes vorliegt, folgen Sie beinahe automatisch den Aufforderungen des Navigationssystems. Entsteht aber eine unerwartete Situation, ein Stau oder die Herausforderung eines kniffligen Überholmanövers, schalten Sie Ihr Bewusstsein auf einen höheren Aktivitätslevel um und lösen mit Ihrer Aufmerksamkeit das Problem. Kommt es zu einer Gefahrensituation, z.B. ein drohendes Auffahrereignis, reagieren Sie blitzschnell aus den Tiefen Ihres Gehirns ohne großes Nachdenken, da zum Nachdenken gar keine Zeit verbleibt. Tiefere und schnellere Entscheidungsebenen als Ihr Bewusstsein müssen die Steuerung und das Steuer übernehmen und in »Abstimmung« mit den automatischen Traktionskontrollen die
Ereignisbewältigung übernehmen. (Frage: Wenn am Bewusstsein vorbei die Ereignisbewältigung
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