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Die Logik des Verruecktseins

Titel: Die Logik des Verruecktseins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Preiter
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aber versuchen, einen großen Verständnisschritt auf sie zuzumachen und deshalb zumindest in Umrissen die Antworten erkennen, welche dann in späteren Kapiteln vertieft werden sollen.

Ist Egoismuslosigkeit evolutionär sinnvoll?
    Manche Fragen sind leichter zu beantworten, wenn man sie aus einer anderen Perspektive stellt und umformuliert. Kehren wir auch unsere Frage »Warum sind wir nicht immer ganz offen und ehrlich mit anderen?« einfach in ihr Gegenteil um: »Was wäre, wenn wir immer ganz offen und ehrlich mit anderen wären?«
    Gibt es eine menschenartige, intelligente Gemeinschaft, in der jeder aufgrund seines Offenheitsbedürfnisses jeden ständig über seine Gedanken und Absichten informiert, die wir als Gegenbeispiel untersuchen können, um Rückschlüsse auf unsere Funktionsweise abzuleiten? Eine solche Lebensform ist bei intelligenten biologischen Wesen nicht bekannt und kann sich, wie wir gleich sehen werden, zumindest unter evolutionären Bedingungen nicht entwickeln. Allerdings ist eine solche Intelligenzform bereits erdacht worden. Es handelt sich dabei um das Volk der Borgs, die wiederum, ähnlich Mr. Spock, in der Science-Fiction-Serie Raumschiff Enterprise »The Next Generation« auftreten. Sie bestehen aus Einzelindividuen, die Cyborgs sind, also Wesen, die eine Mischung aus biologischer und synthetischtechnischer Lebensform darstellen. Es herrscht unter den Borgs vollkommene Egalität. Es gibt untereinander keinen Neid oder Hass. Zum Schrecken der Planetenkonföderation existiert keinerlei Mitleidsfähigkeit mit anderen intelligenten Lebensformen, da das Mitleiden mit anderen, außerhalb der Borggruppe stehenden Individuen, ein Borgindividuum voraussetzen würde, das in der Lage wäre, sich anderen Lebensformen über Einfühlungsvermögen innerlich anzunähern, was aufgrund der totalen Identifikation mit der Borggruppe selbst aber unmöglich ist. Die Identifikation des einzelnen Borgindividuums mit dem Kollektiv ist eine vollkommene. Es findet permanente Kommunikation aller mit allen über »Subraum-Funk« statt, wodurch ein Superbewusstsein, genannt »hive-mind«, entsteht, das kein Zentrum kennt, aber dennoch einen gemeinsamen Willen besitzt. Jedes einzelne Individuum ist gleich wichtig, es gibt keine Hierarchie, jeder wird gebraucht und erhält aus dem Kollektivbedürfnis heraus seinen Auftrag, der nicht als Fremdauftrag verstanden
wird, sondern als intrinsisch entstandene Freiwilligkeit. 51 Der gemeinsame Nenner aller »Aufträge« besteht im Bestreben nach perfekter Vollkommenheit für alle, was durch »Assimilation« fremder Lebensformen und Einverleibung deren biologischer Funktionalität und Technik in die Borglebensform gelingen soll. Es findet keine Reproduktion unter den Borg statt, wie wir sie kennen, kein Sterben von Individuen und deren Teilweiterleben in den Nachkommen. Die Borggruppe wächst nicht durch eigene Nachkommen, sondern durch den Assimilationsvorgang, der fremde Lebensformen in die Borggruppe einverleibt.
    Die Gesellschaftsstruktur der Borgs bedeutet, in Anlehnung an unsere Frage, totale Offenheit und totale Egoismuslosigkeit. Die Maskierungsfähigkeit der Borgs voreinander ist gleich null. Für sie stellt dies das Paradies dar, für unser Empfinden ist es eine Kollektivdiktatur, deren Bestehen nur durch totale Feindseligkeit gegen andere Lebensformen aufrechterhalten werden kann.
    Kann es eine solche Lebensform geben und warum haben wir uns auf unserem evolutionären Weg nicht zu einem entindividualisierten, intelligent-selbstlosen Bienenvolksupergeist entwickelt? 52 Nehmen wir an, ein solches intelligentes Kollektiv hätte sich tatsächlich entwickelt. Aufgrund irgendeiner Veränderung, entweder im biologischen oder im technischen Teil eines Cyborgs, käme es zu einer Veränderung, die, trotz Überwachung durch »Subraumfunk«, diesen eine Spur egoistischer werden ließe. Dieser würde beginnen, die anderen Cyborgs für seine Zwecke einzusetzen. Er würde versuchen, die anderen zu manipulieren. Um sich selbst einen Vorteil zu verschaffen. Aber welcher Vorteil könnte das sein? Da keine Reproduktion stattfindet, gibt es keinen Wettbewerb um reproduktionsfördernde Ressourcen. Da keine genetischen Eigeninteressen vorliegen, gibt es auch keine genetische Konkurrenz der Individuen untereinander. Wenn es eine Lebensform gäbe, der es gelungen wäre, den evolutionären Unterbau ihrer Entstehung, nämlich genetische Reproduktion, auszuschalten, könnte eine Lebensform wie

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