Die Logik des Verruecktseins
höheren phylogenetischen Alters deutlich robuster. Schizophrene erreichen nur selten eine so starke Reduktion des Binnenvolumens, dass optisch halluziniert wird. Wenn, sehen sie ein schemenhaftes Gesicht, das wahrscheinlich der ersten optischen Wahrnehmungsbereitschaft des Säuglings entspricht. Es wird die Muttergesichtsschablone gesehen, die der auf die Welt gekommene Säugling als evolutionär gebahnte Erwartung in sich trägt, damit er auch weiß, was im Außen wichtig ist. Bei Organerkrankungen des Gehirns, z.B. bei den Demenzerkrankungen, kann es zu einer kurzfristigen Dekompensation mit Reduktion des Binnenvolumens kommen, in dessen Folge optisch halluziniert wird. Dabei werden vor allem nächtens, durch die Reizdeprivation provoziert, menschliche Figuren gesehen, die regungslos dastehen und häufig als Einbrecher gedeutet werden. Typischerweise bleiben sie auf Ansprache stumm und antworten nicht. Dies ist ein Hinweis, dass Menschenartige schon lange zusammenlebten, bevor Sprache evolutionär erfunden war. Das Binnenvolumen ist in dieser Volumenreduktion nicht mehr in der Lage, erfolgreich Stimmen zu simulieren.
Hier endet der erste Teil unseres Unternehmens. Wir haben nun die verschiedenen Räume des Seelenlabyrinths durchschritten, deren Themenfelder kennengelernt, haben diese ausgeleuchtet und sind dank unseres evolutionären Kompasses nie orientierungslos geworden. Wir reisten durch die Zeit der menschlichen Individualentwicklung und besuchten die Wurzeln unserer wichtigsten evolutionären Entwicklungsschritte. Wir haben gesehen, wie beides zusammenwirkt und in einem jeden Menschen ein ganz eigenes Sein vorbereitet und zur individuellen Entfaltung bringt.
Nun sind wir bei uns selbst angekommen. Bei dem, was wir sind, und bei dem, was wir alle sein können. Menschliche Psychopathologie, das sollte der erste Teil des Buches vor allem zeigen, gehört zu den unausweichlichen Optionen des menschlichen Seins.
Aus gutem Grund ist in ihren Abgründen für uns alle Platz.
Teil II
Das Schlüsselloch zur Seele
Was Psychopathologie über das Menschsein verrät
14. Pläne
Orientierung mit dem Seelenstadtplan
Unterwegs in Wien
Kennen Sie Wien? Haben Sie jemals als Tourist die romantische Stadt an der Donau erkundet? Dazu fährt man von seinem Hotel zunächst mit der Untergrundbahn Linie 3 bis zum Stephansplatz, steigt aus und vor einem erhebt sich unmittelbar der Stephansdom in all seiner gotischen Verspieltheit in den Himmel. Es herrscht um den Stephansdom ein lärmendes Treiben. Treten wir in den Dom ein, umgibt uns hingegen eine andächtige Stille. Die Bitt- und Dankeskerzen flackern im Halbdunkel der sakralen Weihrauchluft. Menschen knien ernst und leise nieder und falten ihre Hände. Manche verbergen mit ihnen ihr Gesicht. Andacht.
Wieder draußen hat uns rasch der Trubel einer Großstadt eingefangen und reißt uns mit. Den »Graben«, die vornehme Einkaufsstraße, hinunter, und Sie staunen ob der schönen Geschäfte ehemals königlich-kaiserlicher Hoflieferanten mit ihren bunten und luxuriösen Auslagen. Ein Straßenmusikant spielt Bob Dylan und schon sind wir an der Ringstraße angelangt, die den Stadtkern umrundet. Straßenbahnen fahren vorbei und läuten lyrisch bei der Abfahrt. Die Fiakerkutschen, die den sich in Ekstase fotografierenden japanischen Touristen eine kurze Haltestelle sind, werden von gutmütigen Pferden mit hängenden Köpfen gezogen. Im Naturhistorischen Museum, das an der Ringstraße gelegen ist, besuchen Sie am besten die Venus von Willendorf, eine kleine, nur wenige Zentimeter hohe, aber ausdrucksstarke Steinstatue, die mit ihren 25.000 Jahren zu den frühesten figuralen Kunstwerken der Menschheit zählt. Weiter die Ringstraße hinunter geht es, vorbei an prächtigen offiziellen Bauten, privaten Palästen, Plätzen, Parkanlagen, hin zur Hofburg. Barock liegt
sie da und sieht aus, als mache sie gerade ein jahrhundertelanges Nickerchen. Wenn wir nicht zu spät dran sind, können Sie in der Spanischen Hofreitschule während der sogenannten Morgenarbeit zusehen, wie die Lipizzaner für ihr Ballett trainiert werden.
Bevor wir uns als Nächstes zur Berggasse 19 aufmachen, wo der große Sigmund Freud fast 50 Jahre gelebt und gearbeitet hat, muss man in das Café Central gehen und einen der fast unendlich vielen angebotenen Kaffees genießen. Betritt man das Central (Eingang Herrengasse/Strandgasse), begrüßt einen dort Peter Altenberg. Gleich rechts an einem eigenen Tisch sitzt
Weitere Kostenlose Bücher