Die Logik des Verruecktseins
schließt und die alien-Hand diese wieder öffnet. Wie kann das sein?
Betrachten Sie für einen Augenblick Ihre Hände. Was machen sie gerade? Halten sie das Buch, einen Stift, wo liegen sie gerade? Hat Ihr Bewusstsein sie dort hingelegt? Sicherlich nicht, und dennoch liegen sie da und Sie empfinden das nicht als sonderbar. Aber eigentlich ist das doch sonderbar. Andere Gehirnteile als die, in denen Ihr Bewusstsein generiert wird, hatten die Kontrolle über Ihre Hände und deren Tätigkeit übernommen, damit Sie sich mit Ihrem Bewusstsein auf diese Zeilen und deren Inhalt konzentrieren konnten. Diese bewusstseinsfern entschiedenen Vorgänge etikettiert das Bewusstsein nach deren Ablauf nachträglich als freiwillig, als meinhaftig, als von mir, meinem Bewusstsein entschieden, ohne dass irgendeine Befremdung auftaucht. Wie wir jedoch am »alien-Hand«-Phänomen sehen können, liegt eine Initiativillusion des Bewusstseins vor, denn genau diese gelingt bei den betroffenen Patienten nicht mehr. Sie sind nicht mehr in der Lage, sich erfolgreich etwas über ihre nicht vorhandene Poolposition im Gehirn vormachen zu können . Die Patienten erleben den Ablauf der Handbewegung von Entscheidungsfindung bis zur Durchführung der Handbewegung, wie sie tatsächlich »ist«: bewusstseinsfern entschieden, bewusstseinsfern initiiert, bewusstseinsnachträglich »erlaubt« und pseudoinitiiert. Jede andere Reihenfolge wäre viel zu langsam und würde bei real auftretenden Gefahren viel zu viel Zeit in Anspruch nehmen. Wenn Sie beispielsweise ausrutschen und hinfallen, schnellen die Hände in eine Abfederungsposition, die den Sturz mildert. Dies muss so blitzschnell erfolgen, dass das langsame Bewusstsein gar nicht mitentscheiden darf . Es hängt sich aber nachträglich an den Bewegungsablauf an und glaubt, die entschiedene und steuernde Lokomotive zu sein. Dabei ist sie der letzte Waggon des Bewegungszuges. Die Freiwilligkeitsillusion ist aber, wie alle Prozesse des Gehirns, fehleranfällig und kann mangelhaft oder gar nicht generiert werden. Wieder sehen wir anhand eines Krankheitsbildes, dass psychopathologische Phänomene eine Hyperrealisation eigentlich verdeckt bleibender Gehirnfunktionen bedeutet.
Ein noch größerer, dann psychosewertig genannter Sprung in die Pathologie findet statt, wenn die eigene Handbewegung als gemacht erlebt wird. Bei psychosewertigen Erkrankungen gewinnen die Patienten
dabei den Eindruck, dass ihre Bewegungen, z.B. der Hände, von außen gemacht und gesteuert werden. Ähnlich als würde jemand eine Fernsteuerung benutzen, die Macht über den eigenen Körper besitzt, und sowohl die Initiativentscheidung über eine Bewegung sowie deren Durchführung würde dort, außerhalb von ihnen, veranlasst. Die Initiativillusion, die bei dem alien-Hand-Syndrom noch so leidlich generiert wird, dass die Patienten zumindest den Eindruck gewinnen, die alien-Hand gehöre irgendwie noch zu ihnen, ist bei den psychosewertigen Erkrankungen ganz aufgehoben. Für die betroffenen Menschen äußerst quälend, sehen sie bewusst zu, wie sie sich bewegen, und haben damit eigentlich nichts zu tun, fühlen sich gedrängt, hin- und hergeschickt, belastend fremdgezwungen. Ohne es zu wissen, werden sie Zeuge realer Funktionsabläufe der Gehirnfunktion, sie erleiden zu viel »Realität«. Wie die Freiwilligkeitsillusion im psychotischen Zustand nicht mehr vom Gehirn generiert werden kann, so können aber auch abstrakte Erklärungsmodelle nicht mehr generiert werden. Die Patienten erklären sich ihr Erleben vielmehr ganz konkretistisch über die oben erwähnte Fernsteuerung, geheimnisvolle Telepathie und Ähnliches. Sie sind illusionsgeschwächt und parallel dazu erklärungsgeschwächt.
Wir sehen: Unsere Motorik, und vor allem die der Hände, ist, den evolutionären Bedürfnissen folgend, weit davon entfernt, durch das Bewusstsein erzeugt und gesteuert zu werden. Vielmehr »manipulieren«, wie die Alltagsbeispiele zur Handfunktion zeigen sollten, die jeweiligen Umgebungssituationen mit ihren unbelebten und belebten Objekten erheblich an unserer Motorik herum. Die Hände können nicht viel anders, als sich an den Dingen, die in ihrer Reichweite sind, zu schaffen zu machen.
Ein großer Wurf für die Menschheit
Wie aber ist die evolutionslogische Verbindung von Handgeschick zur Sprache, die uns als letzte evolutionäre Errungenschaft der Menschwerdung noch beschäftigen muss, zu denken?
Wir hatten gesehen, dass die Hand die Außenwelt
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