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Die Logik des Verruecktseins

Titel: Die Logik des Verruecktseins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Preiter
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in zwei Unterwelten einteilt. Zum einen in das Hand-Umgebungsfeld, dessen Rand erzeugt wird durch die Reichweite der Arme, und zum anderen die Außenwelt, die darüber hinausreicht und beginnt, wo ich nicht mehr hinreichen kann. Wer aufrecht geht und Hände besitzt, also Pfoten freigemacht hat von ihrer ursprünglichen Funktion der Fortbewegung, der kann zunächst das Hand-Umgebungsfeld nach den eigenen Ansprüchen handhaben und gestalten. Über Milliarden von Jahren verlief die Evolution so, dass Lebewesen von der Außenwelt in ihrer Entwicklung bewirkt wurden. Es wurden z.B. schnelle Beine entwickelt, die es ermöglichten, bei Gefahren fortlaufen zu können. Die Evolution formte den Körper der Lebewesen. Als intelligente, sozial lebende, aufrecht gehende Affen auftauchten, deren Handpfoten nicht mehr zum Gehen gebraucht wurden, kehrte sich das evolutionäre Verhältnis zwischen ökologischer Umwelt und Lebewesen um. Unsere Vorfahren konnten sich vom evolutionären Außenentwicklungsdruck freimachen, als sie etwas erfanden, das ihnen auch die zweite Außen-Welt buchstäblich vom Leibe hielt: Die »Erfindung« des Werfens von gerade noch in der Hand gehaltenen Steinen ermöglichte im Menschenaffen-Menschen-Übergangsfeld vor etwa drei Millionen Jahren, sich der Welt und ihrer potentiellen Gefahren durch Raubtiere zu entledigen. Menschen wurden möglich, als es gelang, einen virtuellen, in Steinwurfweite endenden Sicherheits- und Wirksamkeitspuffer zur Welt um sich herumzuziehen. Das Werfen eines Steins als Jagdwirkzeug 63 ersetzte die ansonsten notwendig gewordenen schnellen Beine durch den Wirkzeuggebrauch. Dies bedeutete für die Menschenartigen Entkoppelung von biologischen Adaptionszwängen gegenüber der natürlichen Umwelt und schuf somit evolutionäre Freiraumgewinnung für die soziale Agar-Agar-Entwicklung und die explosionsartige Gehirnvergrößerung innerhalb der letzten drei Millionen Jahre.
    Dies wurde möglich, als es vor ca. 2,8 Millionen Jahren in Afrika wieder einmal zu einem Klimawandel, diesmal mit zunehmender Trockenheiten, kam, der die bis dahin vorherrschenden Wälder in nicht zusammenhängende Galeriewälder zusammenschrumpfen ließ. Die
Australopitheciden differenzierten sich adaptiv dadurch in zwei große Untereinheiten. Die einen passten sich den neuen Herausforderungen biologisch somatisch an und bildeten die Gruppe der vegetarisch lebenden sogenannten »robusten Australopitheciden«. Die anderen eroberten neue, carnevore Ernährungshorizonte, taten dies aber nicht durch biologisch somatische Anpassung, sondern durch den Einsatz von Wirk- und Werkzeugen. Die einzig erhaltenen Werkzeuge sind natürlich die aus Stein gefertigten. 64 Unsere frühen Homo-Vorfahren warfen und schlugen sich also mit der Hilfe von Steinen einen evolutionären Korridor in die eigentlich überwiegend biologisch-somatisch prägende Umwelt, der sie von den üblichen Anpassungsvoraussetzungen abschirmte und es ihnen ermöglichte, sich zunehmend sich selbst zuzuwenden und im Miteinander einander evolutionärer Motor zu werden. Dies war der Anfang der sich rasch beschleunigenden Distanzierung und schließlich weitgehenden Entsagung des Menschen von seinen »natürlichen« Umgebungsbedingungen. Menschen wurden auf diese Weise zunehmend Nein-Sager zur Natur und Ja-Sager zueinander. 65

Sprachentwicklung und ihre Auswirkungen
    Das einander Ja-Sagen im Gruppenleben birgt aber ein neues Problem. Wie kann Zuwendung kommuniziert werden? Primaten besorgen dies durch das gegenseitige Lausen ihres Fells. Dies diente ursprünglich der Fellreinigung von Hautparasiten, wurde aber zunehmend als beruhigende soziale Kontaktgestaltung evolutionär ausgebaut. Lässt man Primatengruppen artifiziell erzeugt nicht genug Zeit, um sich gegenseitig zu lausen, dekompensieren einzelne Gruppenmitglieder in Wutausbrüchen, die die Gruppe als Ganzes durch unnötige Hierarchiekämpfe aus der Balance bringen. Neben Verletzungen durch körperliche Übergriffe ist eine weitere fatale Folge die Einstellung der Empfängnisfähigkeit bei den Weibchen, da bei den Primaten, wie bei allen anderen Säugetieren, der weibliche Empfängniszyklus stressanfällig ist.

    Die wachsende Gruppengröße und die wachsende emotionale Empfindsamkeit der Gruppenmitglieder errichteten einen evolutionären »Druck« in Richtung eines neuen, effizienteren Kommunikationsmittels, jenseits der direkten und gegenseitigen Körperberührung. Ein Kommunikationsmittel, das, bildlich

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