Die Ludwig-Verschwörung
zum Schloss. Vor dem Eingangsportal standen Sara und Albert Zöller, die Kunstdetektivin winkte ihm fröhlich zu.
»Wo bleibst du denn?«, rief sie ihm zu. »Wir dachten schon, der Wald hätte dich verschluckt.«
»Hat er auch fast«, murmelte Steven. Als er sich noch einmal umdrehte, war der Lodenmantel-Mann verschwunden. Auch der zweite Fremde mit dem Fotoapparat war nicht mehr da.
»Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht für Sie«, begrüßte ihn Onkel Lu, als Steven das Schloss erreicht hatte. »Die schlechte ist, dass wir bislang keinen einzigen Hinweis auf ein mögliches Lösungswort gefunden haben. Die gute Nachricht ist das hier.« Grinsend hielt er einen Schlüsselbund in die Höhe und klingelte damit. »Damit steht uns ganz Herrenchiemsee offen, samt Glasvitrinen und Alarmanlage. Der Chef der Sicherheitsfirma ist ein echter Ludwig-Fan. In meiner Zeit als Double hab ich ihm mal ein Autogramm gegeben und ihm ein paar meiner Bücher zur Verfügung gestellt. Seitdem verehrt der mich fast so wie den leibhaftigen König. Kommen Sie.« Er ging mit großen Schritten auf den Eingang zu. »Die Nachtwächter lassen für uns die Notbeleuchtung brennen. Wenn’s zu gruslig wird, hab ich auch noch ein paar Taschenlampen dabei.«
»Schön, dich wiederzusehen«, sagte Sara leise, während sie das dämmrige Erdgeschoss betraten. »Ich habe dich schon fast vermisst.«
Steven spürte, wie ihn eine warme Welle durchflutete. »Ich … dich auch«, erwiderte er zögernd. »Und tut mir leid, wenn ich dich mit meinen Familiengeschichten …«
»Vergiss es«, unterbrach ihn Sara lächelnd. »Es wird die Zeit kommen, da werd ich dir von meiner Bilderbuch-Kindheit erzählen.« Ihre Miene wurde wieder ernst. »Hast du irgendwas rausfinden können?«, flüsterte sie und sah sich vorsichtig um. Ein paar Putzfrauen waren noch mit der Reinigung der Toiletten beschäftigt. Ansonsten herrschte gähnende Leere, links und rechts erstreckten sich hohe weiße Gänge.
Steven schüttelte resigniert den Kopf. Kurz überlegte er, Sara von seiner Begegnung vor dem Schloss zu erzählen, dann entschied er sich dagegen. Wahrscheinlich litt er tatsächlich schon an Verfolgungswahn. »Nichts, was mir auf den ersten Blick aufgefallen wäre«, sagte er schließlich. »Dabei nimmt die Geschichte immer tragischere Züge an.«
In knappen Worten berichtete er Sara und Onkel Lu von Marots Ankunft in Herrenchiemsee, seiner Begegnung mit dem König im Schloss und von den spektakulären Ereignissen am nächsten Morgen.
»Das musste ja so kommen!«, warf Onkel Lu von weiter vorne ein. »Ludwig verliebt sich in den schönen Theodor und ist eifersüchtig auf Maria. Was das angeht, konnte der König ein echter Stinkstiefel sein. Einigen Quellen zufolge hatte er auch eine Affäre mit seinem Stallmeister Hornig. Als der brave Richard schließlich heiratete, hat Ludwig ihn kurzerhand rausgeworfen.«
»Aber warum dieser Strelitz auf der Insel war, ist mir ein Rätsel«, sagte Sara, während sie durch die menschenleeren Korridore im Erdgeschoss gingen. Ihre Schritte hallten auf den abgewetzten, blank polierten Steinplatten. »Eigentlich sollte der preußische Agent doch nur Lutz und den übrigen Ministern versichern, dass Bismarck auf ihrer Seite ist. Was also machte Carl von Strelitz auf Herrenchiemsee? Sich an Marot rächen? Das erscheint mir dann doch ein ziemlich dürftiges Motiv.«
»Strelitz kann uns zurzeit ziemlich egal sein«, erwiderte Steven. »Was wir brauchen, ist das zweite Codewort.«
»Sie haben recht.« Albert Zöller blieb vor einem großen Eingangsportal am Ende des Ganges stehen und zog den Schlüsselbund hervor. Mit seinen speckigen Fingern kramte er nach dem größten Schlüssel und steckte ihn ins Schloss. Quietschend öffneten sich die schweren Türflügel.
»Dann wollen wir mal sehen, was der gute Theodor sich diesmal so ausgedacht hat«, brummte Onkel Lu. »Hoffentlich hat ihm die Liebe nicht das Gehirn vernagelt.«
Zwei Stunden später standen sie im prunkvollen Beratungszimmer des Königs und steckten die Köpfe über einer zerfledderten Karte zusammen, die auf einem Tisch mit blauer Samtdecke ausgebreitet war.
Mittlerweile war es draußen Nacht geworden, die wenigen Lampen der Notbeleuchtung tauchten den drei Meter hohen Saal mit seinem vergoldeten Stuck in ein märchenhaftes Licht. Wenn Steven aus den mannshohen Fenstern in die Dunkelheit starrte, glaubte er gelegentlich draußen ein Flackern zu sehen. Er nahm an,
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