Die Ludwig-Verschwörung
grummelnd seine Karte wieder einrollte. »Allein schon, um zu sehen, was für einen Kleiderschrank so ein König hatte.«
Über ein nacktes Treppenhaus, das sich noch im Rohbau befand, gingen sie zurück ins Erdgeschoss. Jetzt in der Nacht klang der Hall ihrer Schritte noch gespenstischer als am frühen Abend, als noch andere Menschen in dem leeren Gebäude waren. Steven glaubte, draußen vor den Fenstern leise Stimmen und das Knirschen von Kies zu hören. Er drückte sich die Nase an einer der trüben Scheiben platt, konnte draußen aber nur die Wipfel einiger Lindenbäume erkennen, die in der Dunkelheit wie die struppigen Häupter riesiger Felstrolle aussahen.
»Nun kommen Sie schon«, murrte Zöller. »Ich hab Ihnen doch schon gesagt, das ist nur der Nachtwächter. Sie schaffen es noch, dass ich mir selbst in die Hosen mach.«
Achselzuckend folgte Steven den anderen in einen Raum, wo im Schein ihrer Taschenlampen eine riesige metallische Konstruktion zu erkennen war. Sie erinnerte Steven an den überdimensionalen Seziertisch eines wahnsinnigen Dr. Frankenstein. Erst auf den zweiten Blick bemerkte er die Kurbel und die Gewichte an der Seite. Die Plattform reichte bis unter die Decke.
»Wir sind jetzt genau unter dem Speisezimmer«, erklärte Onkel Lu leise. »Mit dieser Hebebühne hat sich der König den gedeckten Esstisch in das obere Speisezimmer fahren lassen. Das berühmte Tischleindeckdich. Nicht schlecht, was? Aber schauen Sie erst mal hier.« Er führte Steven und Sara in einen Baderaum, dessen Marmorbecken die Ausmaße eines kleineren Hotelpools hatte.
»Ludwigs Badewanne. Das Bassin hat ein Fassungsvermögen von 60 000 Litern«, hob Zöller an zu erzählen. »Vermutlich wollte der König hier mit seinen männlichen Bekanntschaften ein wenig, nun … entspannen. Aber das Zimmer ist nie fertig geworden.« Er seufzte. »Marot wird es demnach auch nicht gesehen und natürlich keinen Hinweis hier hinterlassen haben. Ich bin mit meinem Latein am Ende, tut mir leid. Ende der Führung.«
»Bei mir im Ankleidezimmer ist auch nichts Außergewöhnliches!«, rief Sara von einem der Räume nebenan. »Bis auf die Tatsache, dass mich so viele Spiegel bei der morgendlichen Ankleide komplett kirre machen würden. Mir reicht schon ein dicker Hintern, aber hier seh ich unendlich viele. Nicht gut fürs Ego …« Sie kam schulterzuckend zurück ins Badezimmer.
Steven fuhr sich müde über die Augen. »Ich bin mir nach wie vor sicher, dass wir etwas übersehen haben. Lasst uns noch mal alle Räume im Kopf durchgehen. Den Spiegelsaal, das Porzellankabinett, den Blauen Salon …«
Ein weiteres Geräusch ließ ihn innehalten. Diesmal kam es von rechts, dort wo die Treppe zum ersten Stock hinaufführte. Als Steven sich umdrehte, sah er den Nachtwächter vor sich stehen. Mit seiner Taschenlampe leuchtete er ihm direkt ins Gesicht.
»Nichts für ungut«, knurrte der Mann mürrisch. »Aber ich muss jetzt rüber ins alte Kloster. Wie lang braucht ihr denn noch?«
»Nicht mehr lang, Franz«, erwiderte Zöller. »Wir gehen noch mal alle Räume ab, dann sollten wir hier fertig sein.«
»Himmelherrgott, Lu!«, brummte der Nachwächter. »Weißt du überhaupt, in was für Schwierigkeiten du uns bringst? Wenn die Verwaltung davon erfährt, dass wir hier nachts Privatgäste einschleusen, sind wir alle unsere Jobs los! Was macht ihr hier eigentlich?«
»Wir helfen dem König, Franz. Mehr kann ich dir nicht sagen.« Albert Zöller hob beschwichtigend die Hände. »Gib uns noch eine Stunde, dann sind wir weg.«
»Also gut«, erwiderte der Wächter. »Aber nur, wenn du auf unserem nächsten Treffen noch einmal als Ludwig in der Gondel auftrittst.« Er schaltete die Taschenlampe aus und wandte sich ab. »Ich geh jetzt rüber ins Kloster. Wenn ich wiederkomm, nehm ich mir nebenan das Museum vor. Spätestens dann solltet ihr verschwunden sein.«
»Moment mal«, sagte Steven, als der Nachtwächter verschwundenwar. »Das Museum! Da waren wir noch nicht!«
Onkel Lu runzelte die Stirn und studierte erneut seine Karte. »Wozu auch? Es ist zwar hier im Schloss, aber natürlich hat es das Museum zu Zeiten Ludwigs noch nicht gegeben. Also konnte Marot dort auch keinen Hinweis hinterlassen. Eher werden wir im Garten fündig. Aber dafür sollten wir bis morgen warten.«
»Aber die Räume, die hat es doch damals schon gegeben«, wandte Sara ein. »Steven hat recht. Wir sollten wenigstens mal einen Blick ins Museum werfen.«
»Also gut,
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