Die Ludwig-Verschwörung
Frau Lengfeld«, brummte Onkel Lu. »Sie und Herr Lukas gehen ins Museum, und ich klapper noch mal die Räume im ersten Stock ab. Wir treffen uns in einer Stunde an der Kasse. Wenn wir bis dahin nichts gefunden haben, geben wir für diese Nacht auf. Ich kann den Nachtwächter nicht mehr länger hinhalten. Das ist mein letztes Wort.«
Leise grummelnd entfernte sich der Alte, bis er hinter der Metallkonstruktion des Tischleindeckdich verschwunden war. Vor den Fenstern flackerten die Blitze eines aufziehenden Gewittersturms.
22
S ara und Steven warteten, bis Onkel Lus Schritte im Treppenhaus verklungen waren. Nun war nur noch das gelegentliche Klacken der Notbeleuchtung und ihr eigener Atem zu hören. Schweigend eilten sie zurück in den Empfangskorridor, von wo aus ein schmaler Durchgang in den rechten Südflügel führte. Sie tauchten unter einem Absperrbügel durch und betraten das dunkle Museum.
»Nicht, dass ich glaube, dass wir hier irgendetwas finden«, sagte Steven. »Aber ich möchte mit dem Gefühl ins Bett gehen, wirklich alles versucht zu haben.«
»Außerdem ist es gut, wenn wir zwei mal allein sind«, flüsterte Sara.
Steven grinste. »Hat dich Marots Schäferstündchen mit Maria etwa inspiriert? Dann sollten wir uns allerdings beeilen, bevor Zöller …«
»Trottel!«, zischte Sara. »Das mein ich nicht. Ich finde, es ist allerhöchste Zeit, über Onkel Lu zu reden.«
Erstaunt zog Steven die Augenbrauen hoch. »Wieso?«
»Für einen wahren Ludwig-Experten hat er sich bis jetzt ziemlich bedeckt gehalten, nicht wahr? Ganz so, als wollte er gar nicht, dass wir hier was rausfinden. Außerdem hat er vorher ziemlich lange mit diesen schrulligen Typen vom Sicherheitsdienst gequatscht. Alles eingefleischte Ludwig-Fans, genau wie dieser kauzige Fischer, der uns übergesetzt hat. Und heute Mittag war Albert Zöller plötzlich für eine halbe Stunde verschwunden!«
»Du meinst …«
»Ich meine, dass es vielleicht ein Fehler von mir war, jemanden wie Zöller in die Geschichte einzuweihen. Wer sagt uns denn, dass er das Tagebuch nicht für sich haben möchte? Für sich oder für die Organisation, für die er heimlich arbeitet. Der grüne Bentley jedenfalls war erst hinter uns her, nachdem wir Zöller einen Besuch abgestattet hatten.«
Steven stöhnte. »Die Guglmänner! Du glaubst also wirklich, dass er mit denen unter einer Decke steckt? Aber er hat sie doch selber als einen Haufen Idioten bezeichnet!«
»Vielleicht nur, um den Verdacht von sich abzulenken. Auf alle Fälle sollten wir die Augen offenhalten.«
Mittlerweile hatten sie einen langgestreckten Korridor betreten, der im Licht der Notbeleuchtung nur schemenhaft zu erkennen war. Draußen vor den Fenstern zuckten ferne Blitze, von jenseits des Sees war Donnergrummeln zu hören. In gläsernen Kästen an den Seiten hingen Taufkleid, Krönungsmantel und die Totenmaske des Königs. In einer Seitennische entdeckte Steven vergilbte Fotos, die den körperlichen Niedergang Ludwigs dokumentierten. Nachdenklich ging er eins nach dem anderen ab. Ganz links saß ein schlaksiger Jüngling mit leicht weibischem Gesichtsausdruck, in den Fingern eine Zigarette, die er kokettierend von sich wegstreckte. Am rechten Ende der Reihe glotzte Steven das Porträt eines fetten aufgedunsenen Mannes mit Trachtenhut an, eines der letzten Fotos von Ludwig II. kurz vor seinem Tod. Der Unterschied ließ den Antiquar erschaudern. Was musste in einem Leben passieren, damit ein Mensch sich derart veränderte?
Es folgten weitere nur spärlich beleuchtete Hallen mit Möbelstücken, Fotos, Glaskästen und schließlich einem lebensgroßen Marmorstandbild des Königs. Die Statue lag im Schatten, so dass Steven für einen kurzen Moment glaubte, ein lebendiger Mensch stünde vor ihm. Er stellte sich vor, Ludwig würde von dem Marmorsockel zu ihnen heruntersteigen, um ihnen sein Geheimnis preiszugeben.
Die Stille um sie herum fand der Antiquar erdrückend, er kam sich vor wie im Inneren eines Sarges. Eine schwarze Welle von Erinnerungen klatschte gegen die Tür seines Unterbewusstseins. Steven sah sich selbst als Knabe mit rotgeweinten Augen neben dem Grab seiner Eltern stehen.
Asche zu Asche, Staub zu Staub …
»Ist das Neuschwanstein?«, flüsterte er, um sich abzulenken, und betrachtete das Modell einer märchenhaften Ritterburg auf einem Felsen aus Gips.
Sara schüttelte den Kopf, während sie konzentriert die angebrachte Tafel las. »Das ist Burg Falkenstein«, murmelte
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