Die Ludwig-Verschwörung
ins Gesicht. »Ich habe Euch meine Idee gezeigt, und so dankt Ihr es mir! Weg, weg! Alle beide!«
Tatsächlich hatte ich in diesem Augenblick Angst, der König könnte uns beide umbringen – mit seinen fleischigen Pranken erwürgen oder im Bassin wie zwei kleine Kätzchen ersäufen. Also drehte ich mich panisch um und rannte mit Maria auf das nahe Schloss zu.
Hinter uns ertönte immer noch Ludwigs bestialisches Brüllen. Doch als wir uns entfernten, merkte ich, dass es mehr und mehr in ein Weinen überging. Ein klagendes Greinen, wie von einem Kind, dem man sein liebstes Spielzeug weggenommen hatte.
Ich sollte den König viele Monate nicht mehr wiedersehen.
21
E rschüttert legte Steven Lukas das Tagebuch neben sich auf die Bank.
Die Liebesgeschichte von Theodor und Maria setzte ihm mehr zu, als er erwartet hätte. Vielleicht hatte sein jähes Mitgefühl ja auch mit Sara zu tun. Wie Theodor Marot wusste auch Steven nicht, woran er war. Ärgerlich wischte der Antiquar den Gedanken beiseite. Wenn all das hier vorbei war und er der Polizei endlich seine Unschuld beweisen konnte, war immer noch Zeit für Sara und ihn.
Doch zuvor musste er das verdammte Buch entschlüsseln.
Das Dumme war nur, dass er auch nach der Lektüre der letzten Seiten nicht sagen konnte, wie das zweite Schlüsselwort lautete. Er konnte nur hoffen, dass ihn die abendliche Schlossführung weiterbrachte.
In der Abenddämmerung war es merklich kühler geworden. Steven schloss die Knöpfe seines Mantels, schulterte den Rucksack und begab sich zum Schloss, wo er in einer halben Stunde mit Sara und Onkel Lu verabredet war.
Während er unter den schattigen Buchen unweit des Sees entlangwanderte, glaubte Steven mehrmals einen Blick im Rücken zu spüren. Etwas knarrte, irgendwo knackte ein Ast, doch jedes Mal, wenn er sich umwandte, war da nur das Rotgelb der Herbstblätter und das Grau der Buchenstämme, die hinter ihm fast ein Labyrinth bildeten. Er musste an die Guglmänner denken, die Sara auf der Insel gesehen haben wollte. Waren sie ihm gefolgt? Steven beschleunigte seinen Schritt, als plötzlich vor ihm eine große schwarze Krähe aufflog und sich laut krächzend entfernte. In seinen Ohren klang es, als würde sie ihn auslachen.
Endlich hatte er den Kanal erreicht, der in einer geraden Linie vom See bis zum Schloss verlief. Er führte an Hecken, verblühten Blumenbeeten und einem leeren, von grünen Algen schmierigen Brunnenbecken entlang und endete auf dem Vorplatz des herrschaftlichen Gebäudes. Nur noch wenige Touristen waren um diese späte Zeit unterwegs. Das kleine Café im Seitentrakt hatte bereits geschlossen, die Wirtin holte soeben die Tische und Sonnenschirme herein. Ein Gärtner lud müde Rechen und Schaufel auf einen kleinen Laster, um seinen wohlverdienten Feierabend zu beginnen.
Bewundernd betrachtete Steven die beiden großen Brunnenbecken mit ihren mythologischen Figuren, die ihre Arme in den dämmrigen, gewitterschwangeren Abendhimmel reckten. Er erinnerte sich an die Passage in Marots Tagebuch, als Ludwig II. genau hier gestanden und einen seiner berühmten Wutanfälle bekommen hatte. Für einen winzigen Augenblick fühlte sich Steven in die damalige Zeit katapultiert, er schüttelte sich, und der Moment war verflogen.
Wenn ich nicht aufpasse, werde ich noch genauso verrückt wie der Märchenkönig …
Steven schaute auf die Uhr, ob es schon Zeit für seine Verabredung mit Sara und Onkel Lu war, als er plötzlich links von sich ein Klicken hörte. Hinter einer der Hecken stand ein Mann im weiten grünen Mantel mit einem Fotoapparat in der Hand, der offensichtlich wahllos Bilder vom Schloss zu knipsen schien. Mit einem Mal bemerkte Steven, wie das Objektiv auf ihn gerichtet wurde; das Klicken klang wie das leise Entsichern einer Waffe. Machte der Typ etwa Fotos von ihm?
Hinter einem der Brunnen tauchte nun ein weiterer Mann mit wehendem Lodenmantel auf. Langsam hob der Fremde einen Feldstecher vors Gesicht und musterte das Schloss.
Betrachtet er das Schloss oder mich? Vielleicht bin ich schon paranoider, als ich dachte.
Mit weit ausholenden Schritten kam der Mann im Lodenmantel auf ihn zu. Er zog etwas unter seinem Ärmel hervor, das silbern im Abendlicht glänzte. Die Sonne stand so tief über dem Kanal, dass sie Steven blendete und er den Mann nicht genau erkennen konnte. Doch er schien ihn zu grüßen, er kam immer näher, er …
»Hey, Steven! Hier sind wir!«
Erschrocken wandte sich Steven ab und blickte
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