Die Ludwig-Verschwörung
Stundenglas.
Im Nachhinein kommen mir diese Stunden wie der eigentliche Wendepunkt in Ludwigs Leben vor. Wie anders wäre die Geschichte dieses Landes verlaufen, wenn er nur entschlossen gehandelt hätte! Doch wie Hamlet, so zögerte auch er, und als der König schließlich zur Flucht bereit war, war es bereits zu spät.
Gleich nach der Arretierung der Ärzte und Beamten im Torbau telegrafierte Ludwig seinem treuen Adjutanten, dem Grafen Dürckheim, der noch in Steingaden auf Urlaub weilte. Dabei zeigte sich, dass die Füssener Telegraphenstation, anders als erwartet, doch nicht in der Hand des Feindes war. Mehr noch: Die Verräter hatten es sogar verabsäumt, die einheimische Gendarmerie im Vorfeld von dem Regierungswechsel in Kenntnis zu setzen. Doch anstatt entschlossen zum Angriff zu blasen, trudelte der König weiterhin zwischen grenzenlosem Hass und lebensmüder Apathie. Wie ein Panther in seinem Käfig lief er im Thronsaal auf und ab und stieß wüste Verwünschungen aus.
»Stecht den Verrätern die Augen aus und peitscht sie bis aufs Blut!«, keifte er, während der Speichel von seinen Lippen tropfte. Doch schon im nächsten Augenblick bat er leise den Lakaien Mayr um den Schlüssel zum Turm, um sich von dort in die Tiefe zu stürzen.
»Euer Majestät, der … der Schlüssel ist verlegt«, stammelte Mayr unter mehrmaligen devoten Verbeugungen. Wie viele andere Diener war er längst zum Feind übergelaufen, auch wenn Ludwig davon noch nichts ahnte. »Ich … werd gleich nach ihm suchen lassen.«
Ludwig nickte nur schweigend und schritt weiter auf und ab. Es war, als wartete er wie gelähmt auf seinen Untergang.
Das Unglück begann mit dem Füssener Bezirkshauptmann Sonntag. Mit hängenden Schultern, den filzgrünen Hut zwischen den Fingern knetend, erschien er gegen Mittag im Schloss. Der behäbige Beamte wirkte sichtlich verlegen, trotzdem ging er mit schnellen Schritten hinüber zum Gemach im Torbau, wo die Gefangenen einsaßen.
»Lasst die Herrschaften frei«, befahl Sonntag den Gendarmen, die dort Wache hielten. Er wedelte mit einem vom Regen durchnässten Dokument. »Soeben ist die Proklamation des Prinzen Luitpold nach Füssen telegrafiert worden. Die Männer dort drin haben recht, König Ludwig II. ist tatsächlich abgesetzt worden!«
Der Bezirkshauptmann reichte den erstaunten Polizisten und Feuerwehrmännern das Schreiben und öffnete dann eigenhändig die Tür zum Kerker. Heraus trat Holnstein mit funkelnden Augen.
»Na also«, knurrte der Graf. »Das hat ja lange genug gedauert. Jetzt werden wir diesem Kasperletheater endlich ein Ende machen.«
»Ich würde Ihnen raten, nur einzeln und heimlich die Burg zu verlassen«, flüsterte Sonntag. »Der König weiß nichts von Ihrer Freilassung, und für die Bauern kann ich nicht garantieren.«
Holnstein nickte schweigend, doch sein Blick ließ die umstehenden Gendarmen spüren, dass er sie am liebsten allesamt an die Wand gestellt hätte. Als der Graf mich in zweiter Reihe erblickte, verzog sich sein Mund zu einem höhnischen Grinsen.
»Glauben Sie nur nicht, ich wüsste nicht, wer hinter all dem steckt, Marot!«, zischte er mir zu. »Suchen Sie sich schon mal eine Stelle als Pferdearzt, vielleicht bei Hornig am Starnberger See. Wenn der Prinz dem Herrn Stallmeister nach diesen Vorkommnissen überhaupt noch ein paar Pferde lässt.«
Ich verbeugte mich und machte derweil ein ahnungsloses Gesicht. »Verzeihung, Euer Exzellenz, aber ich weiß wirklich nicht, von was Sie reden.«
»Zum Teufel mit Ihnen, Marot!« Graf Holnstein war nun so nah an meinem Gesicht, dass ich seine Schnurrbarthaare zittern sehen konnte. »Haben Sie etwa gedacht, Ihre kleine Verschwörung wäre uns verborgen geblieben? Wir haben Ihr Grüppchen nur nicht ausgeschaltet, weil Sie allesamt nichts weiter als quiekende Ratten sind.« Er lachte höhnisch. »Ob Sie den König warnen oder nicht, was spielt das schon für eine Rolle? Der Mann ist verrückt, sehen Sie das doch endlich ein! Er lässt sich nicht helfen, von keinem. Und nun noch einen schönen Tag, wir sehen uns bald wieder.«
Der Graf wandte sich ab, und ich zog lächelnd den Hut, in der Hoffnung, dass er meine Angst nicht bemerkte.
Einer nach dem anderen verließen die Gefangenen nun die Burg, wobei vor allem Dr. Gudden immer wieder nervös nach oben zum Thronsaal blickte, so als könnte der König ihm in letzter Sekunde noch die Augen auskratzen. Draußen vor dem Portal wartete bereits ein vierspänniger
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