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Die Ludwig-Verschwörung

Die Ludwig-Verschwörung

Titel: Die Ludwig-Verschwörung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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übernahm.
    Zu diesem Zeitpunkt war über Ludwig II. bereits eine Postsperre verhängt worden. Der König war nun von der Außenwelt gänzlich abgeschnitten, seine Befehle reichten gerade noch bis zum Burgtor. Doch es sah nicht danach aus, als würde ihn dies groß kümmern. Den ganzen Nachmittag hatte er damit zugebracht, in seinem Arbeitszimmer Briefe zu verbrennen. Ansonsten streifte er lethargisch durch die großen Säle seines Schlosses. Manchmal starrte er minutenlang aus dem Fenster, so dass ich schon fürchtete, er könnte hinausspringen. Doch seit dem Wunsch nach Zyankali hatte er keinen weiteren Selbstmordgedanken mehr geäußert. Ludwig schien sich mit seinem Schicksal abgefunden zu haben. Über der ganzen Burg hing eine bleierne Schwere, es war wie in einem Dornröschenschloss, das jedoch nicht auf einen Prinzen, sondern auf die Ankunft der Verräter wartete. Die ersten Diener hatten sich bereits abgesetzt.
    Die dreißig Münchner Gendarmen unter dem Kommando von vier Offizieren schickten die letzten treuen einheimischen Polizisten heim und riegelten das Schloss ab. Sie sperrten das Telefon, jene neumodische Erfindung, mit der Ludwig bis nach Füssen hatte telegrafieren können. Sie drehten die Warmluftheizung ab und verboten dem König jeglichen Spaziergang. Von nun an war Ludwig II. ein Gefangener.
    Um Mitternacht legte ich mich in einem der Dienerzimmer im ersten Stock zur Ruhe, doch wirklichen Schlaf fand ich keinen. Unruhig wälzte ich mich hin und her, in meinen Tagträumen sah ich Maria vor mir, sie schien vor mir wegzurennen und ich lief ihr nach. Doch immer, wenn ich sie beinahe eingeholt hatte und nach ihr greifen wollte, war sie mir wieder einige Schritte voraus. Plötzlich blieb sie stehen, sie drehte sich nach mir um und ihr Gesicht war das einer verwesenden Leiche. Ihr Mund öffnete sich, Maden krochen daraus hervor, und ich hörte ihre heisere Stimme in meinem Kopf.
    Er bringt mich um …
    Plötzlich wurde ich durch heftiges Schütteln geweckt. Als ich die Augen aufriss, sah ich über mir den Grafen Dürckheim. Er trug Uniform, Mantel und seine Offiziersmütze, ganz so, als wäre er im Begriff zu gehen. Draußen dämmerte bereits der Morgen.
    »Wir müssen reden«, flüsterte er. Als ich den Mund öffnen wollte, hielt er sich den Finger vor die Lippen. »Nicht hier, die Wände haben Ohren. Die Münchner Gendarmerie hat sich im ganzen Schloss breitgemacht. Folgen Sie mir.«
    Ich rappelte mich verschlafen auf und begleitete ihn zum Treppenhaus, wo wir schweigend die Stufen erklommen. Im dritten Stock angekommen führte mich der Graf durch die einzelnen Räume, bis wir schließlich vor der Tür des königlichen Schlafzimmers standen.
    »Aber …«, begann ich, als Dürckheim die Klinkeherunterdrückte.
    »Keine Sorge«, warf er ein. »Der König ist nicht da. Er geht oben im Sängersaal wie ein Untoter auf und ab. Das Schlafzimmer ist zurzeit der sicherste Ort. Die Lakaien wissen, dass der König sich hier nachts nie aufhält, nur tagsüber. Also wird auch keiner auf die Idee kommen, herumzuspionieren.«
    Der Adjutant Seiner Majestät schob mich in das kalte Gemach und schloss hinter uns die Tür. Graues Morgenlicht fiel durch die Fenster, so dass das gewaltige Bett mit seinem prunkvollen geschnitzten Dach schemenhaft zu erkennen war. Überall um uns herum befanden sich prächtige Wandgemälde von Tristan und Isolde, sie zeigten die Geschichte der beiden tragischen Gestalten, angefangen vom verfluchten Liebestrank bis hin zu ihrer Vereinigung im Tode. Auch die beiden Tonfiguren seitlich des Kamins stellten das Liebespaar dar. Unwillkürlich musste ich an Maria und mich denken, auf einem der Gemälde hielten sich die beiden Liebenden so eng umschlungen wie wir beide noch vor wenigen Monaten auf Herrenchiemsee.
    Graf Dürckheim nahm müde in einem der Sessel Platz und sah mich mit rotgeäderten Augen an, er schien keine Minute geschlafen zu haben.
    »Die Gegenproklamation ist geschrieben und gedruckt«, murmelte er und rieb sich dabei die Schläfen. »Wir haben 30 000   Exemplare verteilen lassen, aber ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass wir damit erfolgreich sein werden. Vermutlich wird die Polizei die meisten der Blätter beschlagnahmen, bevor sie überhaupt in Umlauf kommen.«
    »Was sollen wir also tun?«, fragte ich ratlos.
    »Wir?« Der Graf lächelte müde. »Sie überschätzen meine Kompetenzen. Ich habe bereits dreimal vom Kriegsminister den Befehl erhalten, unverzüglich zurück

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