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Die Luft, die du atmest

Die Luft, die du atmest

Titel: Die Luft, die du atmest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Buckley
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Mir war so langweilig, dass ich mich noch nicht einmal beschwert habe.»
    Als Nächstes kam ein weißes Blatt, das klein zusammengefaltet war.
    «Das habe ich in seiner Hosentasche gefunden.»
    Ich faltete es auseinander und las die getippten Zeilen.
Ann. Verzeih, dass ich mich einfach so melde, nach allem, was war. Aber ich muss es tun. Wir haben es geschafft, sind in Virginia, und ich habe heute Morgen verschiedene Datenbanken durchsucht. Es tut mir so leid, dass deine Mutter und deine Schwester tot sind. Ich weiß, wie nahe ihr euch gestanden habt. Vielleicht können wir uns, wenn dies alles vorbei ist, wieder begegnen. Wir vermissen euch alle. Rachel
    Ich sah Mom an. «Wer ist Rachel?» Der Name kam mir irgendwie bekannt vor.
    «Sie ist die Mutter einer Freundin von Maddie.»
    Richtig. Die Mutter von Hannah, Maddies bester Freundin, als sie klein war.
    «Das ist die Mail, durch die du von Grandma und Tante Beth erfahren hast?», fragte ich, und Mom nickte.
    Was mit meinem Großvater passiert ist, haben wir nie erfahren.Meine Mutter hat alles versucht, aber er war und blieb verschwunden, wie so viele andere auch. Trotzdem hat sie nicht aufgegeben. Genau wie mit Shazia. Zwanzig Jahre waren ins Land gegangen, ohne dass sie aufgehört hatte zu suchen, jeden Tag aufs Neue.
    Ich griff tiefer in den Kasten und fand eine vergilbte Zeitungsnotiz. Mit einem Bild meines lange verstorbenen Bruders. William. «Mein Gott, Petey sieht ihm so ähnlich!»
    «Das finde ich auch.»
    Ich starrte auf das dünne Papier. Meine Hand begann zu zittern.
    Mom berührte meinen Arm. «Ich durfte nie mit dir über ihn reden.»
    «Ich kann mich kaum an ihn erinnern.»
    «Du warst drei. Du warst selbst noch ganz klein.»
    Ich hätte es nicht vergessen dürfen, aber ich habe es trotzdem getan. Ich hatte die Erinnerung daran verloren, wie ich mit meinem Kissen zu meinem kleinen Bruder in die Wiege geklettert war. Ich konnte mich nicht daran erinnern, wie Mom ins Zimmer gekommen war und William unter dem Kissen herausgezogen hatte, unter dem ich ihn im Schlaf begraben hatte. Ich konnte mich nicht an seinen stillen leblosen Körper erinnern. Und auch nicht daran, wie mich die Frau vom Jugendamt meinen Eltern weggenommen hatte, bis der Vorfall rechtlich geklärt war. Meine ersten Erinnerungen fingen erst zwei Jahre später an, mit einem verschwommenen Bild von meiner Erzieherin im Kindergarten, die ihr helles Haar zu einem Knoten aufgesteckt trug. Aber irgendwo in mir lag diese Erinnerung begraben. Ich hatte nie wieder mit einem Kissen geschlafen. Als Jacob zu uns kam, war das eine Chance, es diesmal anders zu machen. Ich bekam die Chance, es wiedergutzumachen.
    «Frank ist ein wunderbarer Mann, mein Schatz», sagte meine Mutter unvermittelt.
    Daher wehte also der Wind. Ich setzte dazu an, ihr die Kiste wiederzugeben, doch Mom schüttelte den Kopf.
    «Nein, ich habe die Sachen lange genug behalten. Ich brauche sie nicht, um mich an euren Vater zu erinnern.»
    Noch am selben Abend las ich alles zweimal durch, um es mir ins Gedächtnis zu brennen. Dann machte ich ein Feuer, warf den ganzen Haufen in die Flammen und rührte die Asche um, bis nichts mehr davon übrig war.
     
    Langsam fuhr ich mit meinem Pick-up über den schmalen holprigen Weg. Auf beiden Seiten streiften Pinien den Wagen und verströmten ihren Duft. Dann wurde es hell, und vor mir lagen ein Sandstrand und ruhiges graues Wasser. Ich stellte den Pick-up am Rand der Lichtung ab und machte den Motor aus. Nichts und niemand störte die Stille. Ich stieg aus und schlug die Tür zu. Über mir kreiste ein Habicht. Ich ging ans Ufer. Die kleinen Wellen schwappten über meine Stiefelspitzen. Längliche Schatten schwammen heran und schossen davon. Fische. Auch sie waren wiedergekommen.
    Das Boot ließ sich leicht ins Wasser schieben. Als ich weit genug vom Ufer entfernt war, warf ich den Motor an und ließ das Boot über die Wellen hüpfen. Die Haare peitschten mir ins Gesicht. Der Habicht folgte mir, entfernte sich, bis ich ihn nicht mehr sehen konnte, und tauchte wieder auf. Von Dad habe ich gelernt, Eulen von Möwen und Adler von Habichten zu unterscheiden. Nicht an der Form. Manchmal sind sie zu weit weg, als dass man sie richtig erkennen könnte. Dann muss man ihr Verhalten beobachten. Wie ich festgestellt habe, gilt das auch für Menschen.
    Ich lenkte näher ans Ufer und stellte mir vor, wie es hierwohl vor zwanzig Jahren ausgesehen hatte. Ich wette, es hat mehr Häuser gegeben, und ich

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