Die Lutherverschwörung - historischer Roman
sie, was er getan hatte?
Wulf beugte seinen Kopf noch weiter nach vorn und tat, als spräche er mit Richard, als flüstere er einem alten Bekannten vertrauliche Worte ins Ohr. Wulf schaute nun die alte Frau direkt an und lächelte ihr freundlich zu. Zumindest bemühte er sich um ein freundliches Lächeln, denn ob es ihm wirklich gelang, kam ihm zweifelhaft vor. Er hatte das Gefühl, als verzerre er nur krampfhaft seine Lippen. Auf solch ein falsches, erzwungenes und verlogenes Lächeln würde das GroÃmütterchen gewiss nicht hereinfallen.
Aber sie lächelte zurück, und zusätzlich betonte sie ihr Wohlwollen durch Nicken. Wulf war so perplex, dass er im ersten Moment nicht wusste, wie er ihr Verhalten deuten sollte. Trieb sie ein perfides Spiel mit ihm? Sie musste alles gesehen haben, er konnte es sich im Augenblick nicht anders vorstellen. Bedeutete ihr Lächeln: Na, mein Kleiner, habe ich dich erwischt? Mir entgeht nichts, und mit dem gleichen Lächeln betrachte ich dich, wenn dein Kopf vom Block des Scharfrichters rollt â¦
Auch Wulf nickte ihr zu und fixierte sie dabei. Da war etwas, es lieà sich schwer in Worte fassen, dieses Lächeln ⦠nein, das hatte nichts Durchtriebenes oder Bösartiges, aber etwas anderes â kein normales Lächeln. Wulf sprach wieder ein paar Worte zu Richard und schob sanft seinen schweren Oberkörper nach rechts, um ihn zu stabilisieren. Er lieà die Leiche wieder los, aber lange ging das nicht mehr gut. Mit wachsendem Schrecken bemerkte er, dass sich auf Richards kostbarem blauem Umhang ein dunkler Fleck abzeichnete, der im Moment noch klein war und eine violette Färbung zeigte; es war jedoch unverkennbar, dass er wuchs. Mussten nicht alle, die hinter ihm saÃen, das bemerken? Vor allem die Alte? Wieder schaute er sie an. Es war nicht zu fassen: Sie beachtete den Gottesdienst überhaupt nicht, sondern in einem fort starrte sie ihn an. War sie verrückt?
Nun war es Zeit zu handeln: Der Ketzer war noch nicht von der Bank gekippt, und die Alte stellte wahrscheinlich keine Gefahr dar. Also musste er endlich von hier verschwinden! Sollte er einfach aufstehen und gehen? Wichtig war, dass es nicht wie eine Flucht aussah, er könnte zum Beispiel Unwohlsein vortäuschen, den Eindruck erwecken, als müsse er sich gleich übergeben oder etwas Ãhnliches, darauf verstand er sich ganz gut. Ein wenig gebeugt gehen, sich hier und da abstützen, sich vielleicht sogar von einem wohlmeinenden Helfer zum Ausgang geleiten lassen â danach konnte er in den Gassen verschwinden.
Wulf erhob sich langsam und mit sichtlicher Mühe, er schulterte den Sack mit der Armbrust, das vom Blut gefärbte Messer steckte wieder in seinem Stiefel. Mit einem kleinen Seitenblick auf den Katzenelnboger, dessen Mantel am Rücken mittlerweile mehr violett als blau war, schwankend, sich an der Bank stützend, tat er ein paar unsichere Schritte. Die alte Frau, mittlerweile mit besorgtem mütterlichem Blick, schaute noch immer unverwandt in seine Richtung, auch die anderen Menschen in seiner Nähe blickten auf. Der Priester vorne stand mit dem Rücken zur Gemeinde am Altar und zelebrierte die Messe. Ãber ihm schwebten frische Weihrauchschwaden. Noch knieten alle, aber wie lange noch?
Wulf bemerkte Bewegung am Seiteneingang. Ein Mann erschien dort, ein Söldner, bald darauf ein zweiter, neben ihm schon der dritte. Sie kamen in voller Bewaffnung in den Dom. Auch beim Hauptportal entstand Unruhe, die Menschen wandten ihre Köpfe, auch dort Söldner, bis zu den Zähnen bewaffnet, gleich fünf auf einmal.
Wulf begriff, dass Brangenberg ihn verraten hatte! Dafür würde der Bischof sterben â wie sein Sekretär.
Von überall kamen nun Söldner, natürlich hatten sie ihn längst entdeckt, weil er als Einziger stand und weil ihn sein Körperbau verriet. Alle Ausgänge waren versperrt, das Hauptportal, die Seitenportale, selbst der Durchgang zur Kapelle. Die Söldner nahmen keine Rücksicht auf die Messe, ihr Anführer schrie, dass es durch die ganze Kathedrale hallte. Der Priester hatte sich umgedreht und hob die Arme, als wolle er die Gemeinde segnen, die Söldner aber rannten die Gänge entlang und zwischen den Bankreihen hindurch und verursachten einen unglaublichen Tumult. Ein Familienvater sprang empört auf, aber die Bewaffneten rannten ihn einfach um.
Wulf fühlte sich wie ein
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