Die Lutherverschwörung - historischer Roman
auch dort die Schnur. Mittlerweile polterten die Söldner über die Bretter, Wulf hob die Leiter aus ihrer Befestigung und warf sie in die Tiefe, wo sie auf die Pflastersteine schlug und zerbarst.
Er musste so schnell wie möglich von diesem Gerüst herunterkommen! Dann konnte er auf den Schutz der Dunkelheit hoffen. Hinter ihm schlug ein Armbrustbolzen ins Holz, aber sie hatten Mühe, auf ihn zu zielen, weil er sich ständig bewegte. Schon kam die nächste Leiter, und er kletterte weiter nach unten. Vier oder fünf Männer folgten ihm. Wo waren die anderen? Würde es ihnen gelingen, ihn abzufangen?
Dann endlich die letzte Leiter! Noch sah er niemanden, also war er schneller gewesen als seine Verfolger. Wahrscheinlich waren sie ihm alle in den Turm gefolgt, weil sie nicht damit rechneten, dass er von dort entkommen könnte. Als er dann aufs Gerüst sprang, konnten ihm nur einige folgen, die anderen mussten umkehren und die zahllosen Treppenstufen wieder hinunterlaufen und durchs lange Schiff der Kathedrale. Die letzten Sprossen lieà er aus und sprang, stürzte zu Boden, raffte sich auf, stolperte, lief ein paar Schritte, stolperte wieder, dann fing er sich und lief zur Stadtmauer. Sie würden die ganze Stadt nach ihm durchkämmen, aber bis dahin wäre er längst verschwunden.
K APITEL 35
Jost fand keinen Schlaf, so sehr quälten ihn die Vorwürfe, die er sich selbst machte. Er hatte an jedem Eingang zur Kathedrale Männer postiert, aber als Wulf zur Empore flüchtete und von dort zum Turm, lieÃen sich alle vom Tumult anstecken und beteiligten sich an der Verfolgung. Er hatte sie zur Rede gestellt, sogar geschrien, aber was nützte das? Und wenn er ehrlich war, musste er die Schuld hauptsächlich bei sich selbst suchen, denn auch er hatte keinen kühlen Kopf bewahrt und nicht mit dem Gerüst gerechnet.
Wulf, so stand mittlerweile fest, hatte sich auf dem Kornspeicher eines Hauses eingenistet, das gegenüber vom Dom lag. Der Besitzer des Hauses meldete das nach dem Kathedralmord der Stadtwache. Jost sprach mit dem Mann und lieà sich den Speicher zeigen, von dessen Fenster aus man auf die Aula Major schaute; der Ort war perfekt für ein Attentat mit der Armbrust. Man durchsuchte den Speicher und auch andere, leer stehende Lagerräume, aber ohne Ergebnis.
Dass Wulf den Mord mit der Armbrust plante, stand für Jost auÃer Frage. Denn auÃer dem Hausbesitzer meldete sich noch der Scharfrichter bei der Stadtwache, der in Begleitung seiner Tochter erschienen war. Auch der Henker hatte von dem Mord in der Kathedrale gehört, und das Mädchen berichtete von einem kleinwüchsigen Mann, dem es auf der Rheininsel begegnet war: Dieser Mann, kleiner als ihr Bruder, habe mit seiner Armbrust auf eine Vogelscheuche geschossen und sie aus unglaublicher Entfernung getroffen.
Aber Jost musste nach vorne schauen: Heute war der Tag, an dem Luthers Verhör bevorstand. Er hatte sich dessen Sache mittlerweile so sehr zu eigen gemacht, dass es ihm vorkam, als müsse er persönlich vor Karl V. erscheinen (mein Gott: vor dem Kaiser!).
Luther frühstückte gemeinsam mit Jost, Hieronymus Schürf, Johann Pezensteiner, Peter Swaven, einigen kursächsischen Räten, die ebenfalls im Johanniterhof Quartier bezogen hatten, sowie weiteren Freunden und Vertrauten. Etwa fünfzehn Personen hatten sich um die Tafel versammelt, aber die Stimmung war gedrückt und man redete wenig. Jost sprach kein Wort, und Luther nur, wenn man eine Frage an ihn richtete. Die Stände tagten bereits, und jeden Moment konnte ein Beauftragter des Kaisers erscheinen und Luther die offizielle Vorladung überbringen.
DrauÃen vor dem Johanniterhof hatten sich viele Bürger der Stadt versammelt, aber ein noch gröÃeres Gedränge, so berichtete ein Diener, herrsche vor der Aula Major. Nach dem Frühstück zog sich Luther in seine Kammer zurück und bat, nicht gestört zu werden. Erst gegen Mittag erschien Reichserbmarschall Ulrich von Pappenheim und überbrachte Luther den Befehl, um vier Uhr nachmittags vor Kaiser Karl V. sowie vor den Kurfürsten und den übrigen Ständen des Reiches zu erscheinen.
Luther nahm den kaiserlichen Befehl ein wenig steif und förmlich entgegen; über den Grund seiner Vorladung, sagte der Reichserbmarschall, werde man ihn beim Reichstag unterrichten. Luther verneigte sich knapp, zum Zeichen, dass er verstanden
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