Die Lutherverschwörung
fliege ich aufs Maul. Dass ich mir nicht alle Knochen gebrochen habe, ist ein Wunder. Ich war wie betäubt …«
»Komm jetzt endlich zur Sache!«, unterbrach Jost seinen Redeschwall. »Sonst passiert es dir gleich ein drittes Mal!«
»Ich war wie betäubt«, nahm Rudolf unbeeindruckt den Faden seiner Erzählung wieder auf, »und dieser Nachtwächter nutzt meinen schwachen Moment, um mir die Hände zu fesseln. Bis ich ihm begreiflich mache, wer ich bin, ist von Zainer nichts mehr zu sehen. Wir sind noch zum Elstertor gegangen, und dort stand die kleine Pforte offen. Er hat sich aus dem Staub gemacht!«
Eine Katze, den Schwanz steil aufgerichtet, kam angelaufen und steuerte schnurstracks auf Rudolf los. Sie schnurrte zufrieden und rieb ihr Fell an seinem Bein. Er hob sie hoch, küsste sie zwischen die Ohren, und während er ihr Fell streichelte, versprach er seiner Lebensretterin Futter bis ans Ende ihrer Tage: »… und wenn ich die Mäuse selber fangen muss!«
»Helmut«, sagte Jost, »wir müssen den Kerl verfolgen! Trommle alle Männer zusammen, besorgt euch Pferde und reitet zum Elstertor. Dort verteilt ihr euch, bildet drei Gruppen!«
Helmut eilte davon. Jost wusste, dass die Chancen schlecht standen, bei Nacht einen Flüchtenden zu finden. Aber sie mussten es wenigstens versuchen.
»Was ist, wenn er uns entkommt?«, fragte Anna. »Wie sollen wir dann jemals Martha befreien?«
Jost rieb seine Nase, die höllisch schmerzte. »Wir haben Zainer bewacht, seit Hanna mich vor ihm warnte. Die meiste Zeit war er entweder im Gasthof, im Badehaus oder bei Cranach. Nur einmal ist er aus der Stadt hinausgeritten, und wir haben seine Spur verloren. Auch damals verließ er Wittenberg durch das Elstertor. Bestimmt hat er den Ort aufgesucht, wo er Martha versteckt hält. Ich vermute, dass er mindestens einen Helfer hat, vielleicht mehrere. Wenn wir nur wüssten, in welche Richtung er geritten ist! – Aber warte … mir kommt eine Idee … das heißt, eigentlich bringt mich die Katze darauf. Erinnerst du dich: Als ich dir und Martha zum ersten Mal im Hof begegnete, da spielte sie mit einem Hund. Ich habe das Bild noch genau vor mir, weil die beiden sich so prächtig verstanden.«
»Das ist Cranachs Hund. Er heißt Caspar und gehört mehr oder weniger zur Familie.«
»Caspar?«
»Lucas malte gerade ein Bild der Heiligen Drei Könige, als er den Welpen bekam …«
»Dann lass uns den Hund holen! Und besorg uns ein Kleidungsstück von Martha, an dem er schnuppern kann … außerdem brauchen wir Pferde!«
KAPITEL 19
So sehr Jost sich auch bemühte, er konnte Caspar keiner bestimmten Rasse zuordnen; mochte der Himmel wissen, welche Elternteile sich da einst gepaart hatten, aber das war ja auch egal. Er hatte lange Beine und ein helles, zottiges Fell mit rotbraunen Einsprengseln. Anna wusste, dass Cranach, der den Kurfürsten manchmal bei Jagdausflügen begleitete, den Hund wegen seiner feinen Nase schätzte.
Sie verließen die Stadt durch das Elstertor und ritten durch Obstgärten und Felder, die den Wittenberger Bürgern gehörten. Der Hund, begeistert über die Abwechslung, lief an der Leine neben den Pferden her.
»Hier in der Nähe hat Wilfried ihn aus den Augen verloren«, sagte Jost.
Sie stiegen von ihren Pferden, und während sie zu Fuß weitergingen, umfing sie der Geruch von frischer Erde und feuchtem Gras. Bald erreichten sie eine Kirche, die unvermittelt aus der Einöde emporwuchs. Daneben standen zwei Fachwerkhäuser mit steilen Dächern, von einer Mauer umgeben. Den winzigen Kirchturm krönte ein Wetterhahn, dessen Silhouette sich vor der Mondscheibe abzeichnete. Bis auf Caspars Keuchen herrschte vollkommene Stille.
»Lass ihn noch mal schnuppern«, sagte Anna. Jost zog Marthas Nachthemd aus seinem Lederbeutel und hielt es Caspar vor die Schnauze. Der Hund wurde unruhig und jaulte.
Jost blickte sich um: Eine Nische in der Mauer, wie ein Turm gestaltet, umschloss ein Heiligenbild oder eine Skulptur, dahinter wiegten sich die Äste und Zweige hoher Bäume im Nachtwind. Weiter links, über ein Feld hin, bemerkte er eine Gruppe von vier Häusern, aufgereiht wie Figuren auf einem Schachbrett, dazwischen standen Bäume. Ein Flechtzaun schützte das vor den Gebäuden liegende Feld.
Jost führte Caspar noch immer an der Leine. Er lief an der Mauer entlang und dann schnurstracks hinüber zu der Häusergruppe. Als sie sich dem Haus am rechten Ende näherten, wurde der Jagdhund unruhig. Verglichen mit der
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