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Die Lutherverschwörung

Die Lutherverschwörung

Titel: Die Lutherverschwörung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Born
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römischen Priester her. Alle Augen richteten sich auf ihn.
    »Die römische Kurie ist verkommen«, wetterte Luther. »Sie ist verantwortlich für den Untergang der Stadt, die sich zu einem zweiten Babel entwickelt hat.«
    Anna, die schräg hinter Luther stand, griff nach seinem Becher und schaute flüchtig in die Runde. Sie hatte genau den richtigen Moment gewählt, alle hingen an seinen Lippen. Sie handelte wie in Trance, hielt den Krug in der linken und den Becher in der rechten Hand hinter seinem Rücken; zum Glück hatte er breite Schultern. Anna spürte keine Nervosität mehr, auch keine Angst. Sie kramte das Ledersäckchen einhändig unter ihrem Ärmel hervor und öffnete es. Schon sah sie das Pulver in Luthers Becher rieseln wie Schnee. Sie schob den winzigen Beutel zurück unter ihren Ärmel und füllte den Becher mit Wein. Das Pulver löste sich sofort auf. Sie sah ein paar Körnchen auf der Oberfläche schwimmen, aber es war höchst unwahrscheinlich, dass Luther etwas bemerken würde. Er war zu sehr mit seiner Erzählung beschäftigt.
    Das ist also der Moment in meinem Leben, der mich zur Mörderin macht, schoss es ihr durch den Kopf. Es war ganz einfach. Heute Nacht würde er sterben durch ihre Hand, und sie fühlte nichts bei dem Gedanken. Nur in den Tiefen ihres Bewusstseins schlummerte die Ahnung einer schrecklichen, unauslöschlichen Schuld, die sie bis ans Ende ihrer Tage quälen würde. Sie könnte nie mehr glücklich sein, auch das ahnte sie in diesem Augenblick – selbst wenn es ihr gelang, Martha zu retten. Glück war so flüchtig und zerbrechlich.
    Gerade wollte sie den Becher zurück auf den Tisch stellen, da fasste sie jemand am Arm. Sie blickte zur Seite, bemerkte Jost Gessner, und nun zitterte ihre Hand doch. Er nahm ihr den Becher aus der Hand. Sie dachte blitzartig daran, dass kürzlich in Leipzig eine Giftmischerin auf dem Scheiterhaufen brannte.
    »Ich sterbe vor Durst«, sagte Gessner. Er ging an ihr vorbei. »Und Hunger habe ich auch. Sicher ist in der Küche noch etwas übrig.«
    Barbara Cranach hob kurz den Kopf, aber da Luther gerade eine Schimpfkanonade auf den Papst losließ, sagte sie nichts, sondern hörte ihm zu. Luther bezeichnete den Papst als Hure Babylon . Jost Gessner verschwand in der Küche, und Anna eilte ihm hinterher; niemand beachtete die beiden.
    Gessner stellte den Becher auf den Tisch und schnitt sich eine Scheibe Brot ab, zwischen die er eine gebratene Wurst klemmte.
    »Die schmeckt auch kalt noch gut«, sagte er. Es klang, als müsse er sich entschuldigen. Der Becher stand neben dem Brot.
    »Ich schneide mir auch noch eine Scheibe ab«, sagte Anna.
    Sie langte nach dem Brot und stieß wie versehentlich den Becher um. Die rote Flüssigkeit ergoss sich über den Tisch. »Was für ein Jammer!«, sagte Gessner. Sie mache das gleich sauber, entschuldigte sich Anna – und außerdem werde sie den Becher neu füllen.
    Sie ging zu dem Tisch an der Wand, auf dem die Krüge standen und einige Becher. Sie nahm einen neuen und füllte ihn mit Wein. Mit einem Lappen, der bereits zahlreiche Weinflecken aufwies, wischte sie den Gifttrank vom Tisch. Der Söldner trat zur Seite und schaute zu, wie das Tuch die Flüssigkeit aufsog.
    »Das war für Euch sicher ein anstrengender Abend?«, meinte er.
    Anna, über den Tisch gebeugt, hielt in ihrer Arbeit inne und warf ihm über die Schulter einen forschenden Blick zu. Die Art, wie er sie anschaute, war ihr unangenehm; sie richtete sich auf und verschränkte die Arme vor der Brust.
    »Sicher habt Ihr den ganzen Abend an Eure Tochter gedacht.«
    Ihr entging nicht, dass die Beiläufigkeit, mit der er sprach, gespielt war.
    »Ich glaube, dafür muss man kein großer Menschenkenner sein«, erwiderte sie. »Ich denke ununterbrochen an meine Tochter.«
    »Ihr wäret bereit, Euer eigenes Leben zu geben, um das von Martha zu retten, nicht wahr?«
    »Ich würde nicht einen Moment zögern.«
    »Wärt Ihr auch bereit, ein fremdes Leben zu opfern?«
    »Ich wäre bereit, die ganze Welt zu opfern«, sagte Anna.
    »Oder einen Mann, der sie verändern kann.«
    »Meinetwegen den Kaiser persönlich.«
    Sie sah keinen Sinn mehr darin, sich zu verstellen. Er wusste alles. Merkwürdig erschien ihr jedoch, wie unauffällig er den Anschlag vereitelt hatte.
    Plötzlich fasste Jost sie am Arm. Mit einer schnellen Bewegung kramte er das Ledersäckchen unter ihrem Ärmel hervor. Ein Rest des Pulvers war übrig geblieben, den er auf den Tisch schüttete.
    »Was

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